Page - 144 - in Die vielsprachige Seele Kakaniens - Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Image of the Page - 144 -
Text of the Page - 144 -
144 Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie
Gleichberechtigungsprinzip der »Stadionschen« Verfassung vom 4. März 1849
zu einem dringlichen Anliegen geworden, da gleichzeitig mit der Verfassung
das Kaiserliche Patent über die Einführung eines allgemeinen Reichsgesetz
blattes ergangen war. Die Präambel zu diesem Patent betont, dass damit die
Grundsätze der Einheit der Monarchie und der Gleichberechtigung der darin
lebenden Nationen sowie der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz ver
wirklicht werden sollten. Das Reichsgesetzblatt sollte in zehn Ausgaben in den
folgenden landesüblichen Sprachen erscheinen, wobei die heikle Frage der Au
thentizität der verschiedenen Fassungen dadurch gelöst wurde, dass die Texte in
allen zehn verschiedenen Landessprachen als gleich authentisch erklärt wurden :
1. »in deutscher Sprache,
2. in italienischer,
3. in magyarischer,
4. in böhmischer (zugleich mährischer und slovakischer Schriftsprache),134
5. in polnischer,
6. in ruthenischer,
7. in slovenischer (zugleich windischer und krainerischer Schriftsprache),
8. in serbisch illirischer Sprache mit serbischer Civil Schrift,
9. in serbisch illirischer (zugleich croatischer) Sprache mit lateinischen Let
tern,
10. in romanischer (moldauisch wallachischer) Sprache«. (RGBl. 153/1849,
Ein leitung I, VI)
Die Einrichtung eines solchen Reichsgesetzblattes in allen landesüblichen
Sprachen der Monarchie kann als vorbildliche Maßnahme zur Regelung der
Sprachenfrage für Gesetzesbelange angesehen werden, warf jedoch eine Fülle
von Problemen auf. Damit rückte zuallererst das Problem der Festlegung des
Begriffs Schriftsprache im slawischen Kontext und auch die Frage nach der
(noch umstrittenen) Wahl der Schriftzeichen ins Zentrum der Aufmerksam
keit. Diese Problemkreise wurden von Pavel Josef Šafařík darauf zurückgeführt,
dass »die seit längerer Zeit aus den höhern politischen Kreisen ausgeschlosse
nen Sprachen für gewisse dem neuern Staatsleben angehörige Begriffe noch
keine allgemein gangbaren Ausdrücke besaßen« (Šafařík 1850 : III). Die hier
angesprochenen Terminologiedefizite bezogen sich vorrangig auf die slawischen
134 Damit entschied sich die Regierung für das Konzept einer einheitlichen tschechisch slowa
kischen Schriftsprache ; vgl. dazu auch Slapnicka (1974 : 446).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437