Page - 153 - in Die vielsprachige Seele Kakaniens - Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Image of the Page - 153 -
Text of the Page - 153 -
»Polykulturelle Translation« 153
Was die Uebersetzung in Zukunft betrifft, so dürfte bei der vollen Gewissheit, dass
die Zahl der zu übersetzenden Gesetze in keinem Verhältnis zu den bisher über
setzten stehen wird, die Beibehaltung eines eigenen, mit wesentlichen Unkosten
für den Staatsschatz verbundenen Redaktionsbureaus nicht mehr notwendig sein.
(AVA, 40/1, Karton 2788, Zl. 10546/911, Beilage I)
Obwohl die Auswirkungen letztlich nicht so drastisch waren, wie es diese Be
stimmungen erwarten ließen – das Redaktionsbureau bestand weiter, wenn auch
in stark reduzierter Form –, so stellte dieses Patent nicht nur in nationalpo
litischen Fragen einen enormen Rückschritt dar und fiel in die Germanisie
rungsbestrebungen früherer Jahrzehnte zurück, sondern schmälerte den Wert
der Übersetzungstätigkeit in erheblicher Weise, hatten doch die Redakteure im
Laufe ihrer Arbeit translatorische und fachliche Fähigkeiten erworben, die sie
zu relativ gut bezahlten Experten machten – nun sollten die Übersetzungsarbei
ten von »geeigneten Beamten« übernommen werden, was nicht nur die Qualifi
kationen der Mitarbeiter des Redaktionsbureaus stark abwertete, sondern auch
die translatorische Tätigkeit per se, ganz zu schweigen von der zu erwartenden
Qualität der übersetzten Texte.
Mit dem Jahr 1860 waren somit die »fetten Jahre« des Redaktionsbureaus
vorbei, nun wurde alles Erdenkliche unternommen, um Bestehendes zu retten.
Im Laufe des Jahres 1860 verließen von den noch vorhandenen neun Redak
teuren vier das Büro, traten den Vorkehrungen des Patents entsprechend andere
Dienststellen bei Zentralbehörden an und versahen die Übersetzungstätigkeit
von da an gegen Remuneration ; die übrigen »konnte oder mochte« man – wie in
den Akten vermerkt ist – nicht in anderen Stellen unterbringen. Damit wurde
das Büro de facto nie aufgelöst, auch wenn es nur in sehr reduziertem Umfang
weiter arbeitete. Bald stellte sich heraus, dass sich der neu geschaffene Zustand
in keiner Weise bewährte. Problematisch war vor allem, dass die externen Trans
latoren ihre Arbeit trotz der verminderten Zahl an Übersetzungen oft nicht
rechtzeitig fertigzustellen vermochten. Das Hauptproblem bestand jedoch da
rin, dass die Auswahl der zu übersetzenden Gesetze nicht zufrieden stellend
geregelt war, da sie weitgehend im Ermessen der Referenten in den Zentralstel
len lag, was zu großen Unregelmäßigkeiten führte. Ein Circulandum des Justiz
ministers zur Durchführung des Patents vom 1. Jänner 1860 weist ausdrücklich
nochmals darauf hin, dass von nun an »die Zentralbehörden zu bestimmen ha
ben, welche Gesetze und Verordnungen für welche Kronländer und in welchen
Landessprachen zum Zwecke einer weiteren Verlautbarung mittels besonderer
Abdrücke auch den Gemeinden bekannt zu machen sind« (AVA, II.A.5, Kar
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437