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172 Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie
den die Anträge jedoch mit dem Hinweis, dass gerichtlich beeidete Dolmetscher
für diese Arbeiten zuständig seien, zurückgewiesen, und Übersetzerdienste für
Privatpersonen waren überhaupt ausgeschlossen (Hubatschke 1975b : 412). Je
doch scheinen Anfragen zu manchen Zeiten Überhand genommen zu haben,
denn eine Prememoria von Außenminister Taaffe vom 2.11.1909 gab deutlich
zu verstehen, dass »[…] das Departement ausschließlich für das Ministerium
des Äußern translatorisch zu arbeiten berufen [ist]« (HHStA, Administrative
Registratur, Fach 4, Karton 462, Zl. 88772/2/09).
Das »Departement für Chiffre und translatorische Arbeiten« leistete im
Laufe seiner Geschichte in institutionalisierter Form einen wertvollen Beitrag
zur Verständigung auf inter und transkultureller Ebene. Die Bemühungen von
seiten der Obrigkeiten, dieses Departement sowohl in personellen als auch finan
ziellen Belangen bevorzugt zu behandeln, ist freilich in erster Linie seiner brisan
ten Aufgabenstellung zuzuschreiben ; kaum eine Abteilung in den Ministerien ist
von einer derartigen Kontinuität gezeichnet gewesen. Die machtvolle Stellung
der Residenzhauptstadt, die einmal mehr an der Handhabe mit solchen Dienst
stellen ersichtlich ist, bewirkte so ein gewichtiges Konstruktionsmoment, das als
Ergebnis der Plurikulturalität des habsburgischen gesellschaftlichen Gefüges
gesehen werden kann und komplexe translatorische Leistungen hervorbrachte.
Literarisches Bureau
Im Ministerium des Äußern war neben dem »Departement für Chiffrewesen
und translatorische Arbeiten« noch eine zweite Abteilung angesiedelt, die im
weiteren Sinn mit Übersetzen und Dolmetschen befasst war : das Literarische
Bureau. Es wurde als Dienststelle für Presseangelegenheiten im Jahr 1868 ein
gerichtet und bestand, nach mehrmaligen Änderungen des Namens und Umbe
nennungen der übergeordneten Dienststelle, bis zum Ende der Monarchie ; mit
der Bezeichnung »Literarisches Bureau« existierte es in den Jahren 1877–1911,
dann übernahm das Departement 5 der administrativen Sektion die Presse
Agenden (Kammerhofer 1989 : 462). Seine Hauptaufgabe bestand in der pres
sepolitischen Einflussnahme auf die öffentliche Meinung im Ausland.164 Das
Büro besorgte auch die – für translatorische Belange aufschlussreichere – Ab
fassung der täglichen Zeitungsschau für den Kaiser auf der Basis der wichtigsten
164 Die wesentliche Literatur zum »Literarischen Bureau« bezieht sich vorrangig auf diesen Teil
seines Aufgabengebietes. Dieser wird hier jedoch nicht berücksichtigt, da translatorische Tätig
keiten in diesem Bereich nicht belegt sind. Vgl. Kammerhofer (1989) und Rottensteiner (1967).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437