Page - 173 - in Die vielsprachige Seele Kakaniens - Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
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»Polykulturelle Translation« 173
europäischen Tages und Wochenschriften, die sowohl von Beamten des Minis
teriums als auch von »freien Mitarbeitern« besorgt wurde. Insgesamt wurden im
Literarischen Bureau Tages und Wochenblätter folgender Sprachen ausgewer
tet : Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Polnisch, Russisch, Tschechisch
und Ungarisch. Jeder Sprache waren ein oder mehrere Referenten zugewiesen ;
der tägliche Bericht für den Kaiser wurde auf der Basis dieser Exzerpte vom
Ressortleiter erstellt (vgl. Przibram 1910 : 208f., Bittner 1937 : 831). Eine weitere
Aufgabe des Literarischen Bureaus bestand darin, den verantwortlichen Mitar
beitern des Ministeriums jenes Material aus der ausländischen und inländischen
Presse zur Verfügung zu stellen, das für ihre Arbeit erforderlich war. Über die
Übersetzungsarbeit im Einzelnen liegen keine Informationen vor, doch wie aus
der Zusammensetzung des Mitarbeiterstabs aus dem Jahr 1878 hervorgeht, ist
für den aus italienischen Blättern zusammengestellten Zeitungsspiegel Hofse
kretär Cajetan Cerri (1826–1899) verantwortlich – ein bekannter Übersetzer
von kunsthistorischen und literarischen Texten vor allem aus dem 16. und 17.
Jahrhundert, der insgesamt eine wesentliche kulturmittlerische Rolle zu seiner
Zeit einnimmt. Ein weiterer (literarischer) Übersetzer in dieser Runde ist der
Referent für das französische Pressewesen, Konrad von Zdekauer, der etwa die
Dialogues et fragments philosophiques von Ernest Renan ins Deutsche übersetzte.
Nach Beginn des Ersten Weltkrieges wurden die Agenden des Literarischen
Bureaus zwecks »Propaganda im Ausland« auf die Herausgabe und Versendung
(propagandistischer) Broschüren in verschiedenen Sprachen über die Habsbur
germonarchie ausgeweitet (Rottensteiner 1967 : 48). Es ist anzunehmen, dass
diese Broschüren und ihre Übersetzungen im Hause verfasst wurden. Die Mit
glieder des Literarischen Bureaus führten insgesamt nicht Translationsleistun
gen im engeren Sinn aus, um ihre tägliche Arbeit zu bewältigen, doch stellt sich
– wie bei allen mit dem »Ausland« in Verbindung stehenden journalistischen
Tätigkeiten – die Frage, wo im speziellen Fall der täglichen Zeitungsschau die
Grenzen zwischen Übersetzung im engeren Sinn und Schaffung neuer Texte
auf der Basis des in einer anderen Sprache Gelesenen zu ziehen sind. Daran ist
zu erkennen, dass sich die Translationsarbeiten im Literarischen Bureau an der
(fließenden) Grenze zwischen »polykultureller Kommunikation« und »polykul
tureller Translation« befinden.
Evidenzbureau
Anders als im Literarischen Bureau ist im Evidenzbureau des Kriegsministeri
ums der institutionalisierte Translationsbetrieb nachzuweisen ; die Nachrichten
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437