Page - 182 - in Die vielsprachige Seele Kakaniens - Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
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182 Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie
von Anfang an nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass die meisten Zöglinge
zur Zeit der Aufnahme das Gymnasium noch nicht zur Gänze absolviert hat
ten, weit über die Sprachausbildung hinaus und umschlossen juristische, wirt
schaftliche und kommerzielle Fächer. Dies sollte die Grundlage für den Dienst
künftiger Vertreter der Monarchie im Orient sein. Im Durchschnitt wurden
sieben Sprachen gelehrt, und zwar Deutsch als Amtssprache, Französisch als
Sprache der Diplomatie, Italienisch als Sprache des Seerechts und Handels im
Mittelmeer, ferner Türkisch, Arabisch und Persisch für den Dienst in der Le
vante, und schließlich Neugriechisch. Den Studenten stand es jedoch frei, wei
tere Sprachen zu erlernen, wie Chinesisch, Japanisch, Russisch, Serbokroatisch
oder Ungarisch. Die methodischen Mittel zur Spracherlernung waren vielfältig
und reichten vom Nacherzählen vorgelesener Erzählungen über die Abhaltung
französischer Spiele bis zur Vorstellung italienischer Komödien durch die Stu
denten. Im Jahr 1833 wurde eine Teilung des akademischen Lehrplans in juris
tisch diplomatische Studien und Sprachstudien vorgenommen. Damit schienen
zum ersten Mal Fächer auf, die sich direkt mit dem Übersetzen befassten, und
zwar »Übersetzung aus dem Türkischen«, »Lesen und Übersetzen türkischer
Geschäftsbriefe« ab dem 1. Jahrgang und »Übersetzen aus dem Arabischen«
bzw. »Übersetzen aus dem Persischen« ab dem dritten bzw. fünften Jahrgang
(vgl. Weiß von Starkenfels 1839 : 41).172
Das Ausmaß des Anliegens vonseiten des Staates, den hohen Anforderungen
an Dragomane im diplomatischen Dienst Genüge zu tun, ist an der zunehmend
sozialen Öffnung der Akademie zu erkennen : Vorrangig war nicht die sozi
ale Stellung der Familie des Studenten, sondern dessen sprachliches Talent und
seine Lernfähigkeiten, »damit Gaumen und Gurgel die türkische Sprache be
herrschen können« (Pfusterschmid Hardtenstein 1989 : 129). Dem eventuellen
Mangel an finanziellen Mitteln wurde durch Stiftsplätze abgeholfen. Für alle
nicht aus dem ererbtem Adel stammenden Studenten stellten der Besuch und
die Absolvierung der Orientalischen Akademie hohe soziale Aufstiegschancen
dar, war doch eine der erfolgreich abgeschlossenen Ausbildung nahtlos folgende
Überführung als Dragoman in den Staatsdienst gewährleistet, dem zusätzlich
in vielen Fällen nach einigen Jahren der Aufstieg in die Karriere des Gesandten
172 Ein »Entwurf von Erlernung einer Sprache insonderheit der Lateinischen als eine Beylage zu
der Instruktion für die Orientalische Akademie, und den allgemeinen Plan für Schulen« aus dem
Jahr 1770 präzisiert methodische Vorgangsweisen im Latein Unterricht (vgl. HHStA Staats
kanzlei, Interiora, Karton 55, 1 30).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437