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Der kulturkonstruierende Beitrag der Translationspraxis 189
des »Aushandelns« ebenfalls an kulturkonstruierenden Prozessen wesentlich
beteiligt, wobei dieses »Aushandeln« jedoch nicht nur im engeren Sinn der kon
sensuell bewerkstelligten Translatsproduktion gesehen werden kann, sondern
im bhabhaschen Sinn als Ausgangspunkt für neue kontextuelle Verknüpfun
gen, die auf das Vorhergehende nicht mehr rückführbar sind und sich doch aus
Elementen des »Zurückgelassenen« zusammensetzen. Nicht zuletzt durch diese
Charakteristik ist der Faktor des »Aushandelns« als bedeutender Kommunikati
onsaspekt nicht zu überschätzen. Die für die »Erfindung« des Vielvölkerstaates
erforderlichen Identitätskonstruktionen laufen vorrangig über diese Translati
onstypen ab, wo durch die direkte kulturelle Begegnung in unterschiedlichen
Ausformungen das jeweils »Andere« neu kontextualisiert wird.178 Dabei wird
nicht ständig »Neues« produziert, sondern – zumeist indirekt – auf historische
Erfahrungen und »Bausteine von Identität« (Brunnbauer 2002 : 16) in bereits
vorgefundenen Rahmenbedingungen zurückgegriffen. Jene Translationsfor
men hingegen, in denen vorrangig Texte im engeren Sinn produziert werden,
konstruieren das »Andere« gefiltert durch die textuelle Produktion und schaf
fen Repräsentationen, in denen das Polyphone der in den Translationsprozess
involvierten kulturellen Faktoren je nach Sachgebiet, in dem die Übersetzung
verortet ist, wirksam wird. So erscheinen in den von stärkeren Normierungs
tendenzen gekennzeichneten Translationssituationen wie der Übersetzung von
Gesetzestexten (siehe »Redaktionsbureau des Reichsgesetzblattes«) die kultur
konstruierenden Merkmale in geringerer Form als in jenen Konstellationen, die
tendenziell ein breiteres Spektrum an Translationsstrategien zulassen, wie etwa
in der Arbeit der Translatoren des »Departements für Chiffre und translatori
sche Arbeiten« bzw. vor allem in den Bereichen, wo Übersetzungen innerhalb
von Konfliktfeldern produziert wurden und in vielen Fällen sprachrechtliche Re
gelungen zu konkretisieren hatten. Dies trifft zum Teil auch auf die Dolmetsch
leistungen vor Gericht zu, wo zwar der kulturmittlerischen Tätigkeit durch das
erwähnte potenzielle »Aushandeln« ein gewisser Spielraum eingeräumt war, das
der juridischen Translation – siehe auch den Bereich der beglaubigten Überset
zungen – immanente Postulat der »Authentizität« jedoch Grenzen auferlegte,
durch die kulturelle Austauschprozesse nur bedingt zum Tragen kamen.
Für das translatorische Arbeiten in der Habsburgermonarchie sind vor dem
Hintergrund seiner kulturkonstruierenden Implikationen vier Merkmale beson
178 Vgl. dazu das von Klaus Jürgen Hermanik entwickelte Konzept des »Ethnomanagement«, das
die Konstruktion von Identität durch die Minderheit selbst oder durch die Mehrheitsgesellschaft
und andere »äußere« Institutionen meint (Hermanik 2009).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437