Page - 192 - in Die vielsprachige Seele Kakaniens - Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
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192 Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie
entgegenwirkt bzw. deren Fiktionscharakter aufzudecken sucht, kann für die
grundsätzlich durch Translation in Zirkulation gesetzten kulturellen Elemente
– gleichgültig, ob es sich um poly oder transkulturelle Prozesse handelt – zwar
der Anspruch erhoben werden, dass diese auch tatsächlich einen Transfer voll
bringen, doch können ebenso – zumeist durch Institutionen initiierte – hem
mende Faktoren in Funktion treten, die eine solche Zirkulation zum Stillstand
bringen oder sie gar nicht erst entstehen lassen. Das bedeutet für den Konst
ruktcharakter von Translation Implikationen auf zwei verschiedenen Ebenen :
Zum einen auf der Ebene des Grades der durch Translation zustande kommen
den Konstruktion von »Kultur« insofern, als die Tätigkeit des Übersetzens oder
Dolmetschens bzw. Vermittelns im weiteren Sinn, wie gezeigt wurde, gefördert,
behindert oder verhindert wurde, und zum anderen auf einer qualitativen Ebene,
wo in Anwendung hybrider Kulturkonstellationen nebeneinander verschiedene,
einander nicht unbedingt widersprechende Verortungen möglich sind, die ten
denziell »Tradition« oder »Erneuerung« implizieren. Institutionen kommt hier
eine entscheidende Rolle zu, da sie als ein wichtiges Steuerungselement in diesen
Prozessen gelten : Sie stellen, bezogen auf die translatorische Praxis der habs
burgischen Verwaltung, Translatoren in institutionalisierter Form bereit (etwa
das Redaktionsbureau des Reichsgesetzblattes oder das Departement für Chiffre
und translatorische Arbeiten), die zusätzlich auch über Auftrag für Bereiche
außerhalb ihres unmittelbares Arbeitsfeldes eingesetzt werden, und entsprechen
damit dem greenblattschen Faktor der die Konstruktion habsburgischer Kultur
fördernden Zirkulation kultureller Elemente. Andererseits tritt das Phänomen
der Blockierung dann in Erscheinung, wenn von den Institutionen – aus wel
chen Gründen immer – die translatorische Tätigkeit nur eingeschränkt zuge
lassen oder überhaupt verhindert wurde (etwa die Praxis des Dolmetschens vor
Gericht oder die Forderung nach Zweisprachigkeit von Beamten, durch die eine
professionelle translatorische Tätigkeit von vornherein unterbunden wurde).
Dem Moment des Aushandelns kommt hier eine zentrale Rolle zu. Bei der
Denkfigur des Aushandelns geht es nicht darum, sich über Inhalte zu verstän
digen, und es geht auch nicht darum, gleichsam in einem Dialog Differenzen
zu bereinigen ; das Resultat einer Verhandlung ist also nach Bhabha »weder
Assimilation noch Kollaboration« (Bhabha 1997 : 72). Es werden vielmehr im
Zuge des Auslotens der verschiedenen Erfahrungshintergründe der involvier
ten Subjekte kulturelle Festlegungen ermittelt. Auf die translatorische Praxis
in der Habsburgermonarchie bezogen könnte dies dahin gehend gedeutet wer
den, dass verschiedene Institutionen im Rahmen der von zentraler Stelle impli
zit und explizit gestellten Forderung nach einwandfreier Funktionstüchtigkeit
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437