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Theoretischer Aufriss eines habsburgischen »Übersetzungsraumes« 195
prägenden Feldstrukturen und nicht als lineare Entwicklungen zu verstehen.
Die Dynamik im sozialen Raum wird durch die Wahrung oder Veränderung
der Kräfteverhältnisse bestimmt, die Bourdieu von »Kräftefeldern« oder auch
»Kampffeldern« sprechen lässt (Bourdieu 1991 : 74), wobei die treibende Kraft
hinter den Aktivitäten im Feld seine eigene Strukturbeschaffenheit ist (Bour
dieu 1993 : 191).
Für das (nicht nur literarische) Feld als konstitutiv können somit verschie
dene Merkmale bezeichnet werden, die es von einem ȟbersetzerischen Ver
mittlungsraum« zum Teil wesentlich unterscheiden (vgl. dazu auch Wolf
2007b). Neben der Konzeption des Feldes als »Kräftefeld« ist vor allem die
Rolle der AkteurInnen bestimmend : Solange sie in das Feld auf der Basis ihrer
Ressourcen und ihrer Interessen investieren, tragen sie, nicht zuletzt auch auf
grund des wechselseitigen Antagonismus, zur Erhaltung oder Veränderung der
Feldstruktur auch im Sinne ihrer Autonomisierung bei (Bourdieu 1991 : 74).
Ein weiteres Merkmal des sozialen Feldes ist deshalb, dass für seine Struktur
nicht eine innere Homogenität konstitutiv ist, sondern vielmehr eine grundle
gende Verschiedenheit, die sich etwa im literarischen oder künstlerischen Feld
in den (mindestens) zwei Achsen der Produktion für das Massenpublikum (mit
dem vorrangigen Ziel des kommerziellen Erfolges) und der Produktion für ein
Avantgarde Publikum (mit dem primären Ziel der Anerkennung) manifestiert.
Diese Hierarchisierungsprinzipien (»heteronomes« und »autonomes« Prinzip)
sind nicht nur innerhalb der Felder, sondern auch zwischen AkteurInnen wirk
sam, die nicht unbedingt in ein und demselben Feld agieren. Als viertes Merk
mal geht es im Bemühen der AkteurInnen, ihre Existenz im Feld aufzubauen
bzw. zu behaupten, um ein »Spiel«, in das jeweils spezifische Einsätze (enjeux)
eingebracht werden, was gleichzeitig impliziert, dass dieses »Spiel« erst durch
die Praxis der involvierten Personen aktiviert wird. Die Grundlage des Wettbe
werbs zwischen den AkteurInnen bezeichnet Bourdieu als illusio, der »kollektive
Glaube an das Spiel« (Bourdieu 1999 : 363), die stillschweigende Hinnahme der
Grundvoraussetzung, der zufolge das (literarische oder übersetzerische) Unter
nehmen der Mühe wert ist, »gespielt« und ernst genommen zu werden.
Das soziale Feld ist als mehrdimensionaler Raum von Positionen aufzufassen
und stellt somit »den Schauplatz dar eines mehr oder minder offen deklarierten
Kampfes um die Definition der legitimen Gliederungsprinzipien des Feldes«
(Bourdieu 1991 : 27f.).179 In der Diskussion der Kriterien zur Erlangung einer
179 Die Grenzen des bourdieuschen Feldes liegen in seiner (zumindest implizit angelegten) Konzep
tualisierung als »nationales Feld«. Die Konzentration auf die internen Auseinandersetzungen und
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437