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Die Metamorphosen des »Übersetzungsfeldes« 339
Die Raum Dispositionen und die Kräfteverhältnisse sind in der Ausgangskultur
zumeist völlig anderen Spielregeln unterworfen als in der Zielkultur, doch ist
der Grad der Legitimation eines Autors/einer Autorin in der Ausgangskultur
für die Entscheidung, ob einer seiner/ihrer Texte übersetzt werden soll, dennoch
von vorrangiger Bedeutung, wie auch in der Analyse der Paratexte bereits nach
gewiesen werden konnte.269 Diese Entscheidung entspringt letztendlich dem
Spannungspotenzial, das durch die Kontakte zwischen den hier involvierten
kulturellen VertreterInnen entsteht und zu sozialen Interaktionen führt, die im
Rahmen von »Aushandlungen« auch auf bestehende Traditionslinien zurück
greifen lassen. Dies ist etwa an der Übersetzung sogenannter »Klassiker« zu
erkennen : Dante Alighieri erschien in Wien zwischen 1865 und 1903 jeweils
in neuer Übersetzung viermal, Manzoni zwischen 1879 und 1909 ebenso vier
mal, Giovanni Verga sechsmal.270 Gouanvic behauptet zu Recht, dass zumindest
manche Werke gerade durch das Faktum der Übersetzung einen (zusätzlichen)
Prestigegewinn verzeichnen können :
Les œuvres traduites jouissent d’un capital de légitimité supérieur du fait qu’elles
sont jugées dignes d’être diffusées dans un espace culturel étranger. (Gouanvic
1997b : 35)
Dasselbe trifft auf zeitgenössische Literatur zu, wie an den zahlreichen Über
setzungen etwa von Gabriele D’Annunuzios Werken (30 Ü zwischen 1894 und
1915, der Großteil davon in Zeitschriften) zu sehen ist ; auch Roberto Bracco
269 Auch Carl Junker erkannte bereits 1900 in seiner Schrift Die Berner Convention die Bedeutung
des Zusammenhanges zwischen Prestige des Autors und Übersetzung und fokussierte dabei auf
den durch Übersetzung potenziell zusätzlich zu erringenden Prestigegewinn : »Wird das Werk
eines Schriftstellers in eine fremde Sprache übersetzt, so ist dies eine wichtige Anerkennung
seiner Bedeutung, ein Mittel, die dem Autor und seinem Werk einen grösseren Einfluss auf das
geistige Leben zu sichern, seinen Ruf in weitere Kreise zu tragen, die Wirkung, die er ausüben
wollte, zu vermehren« (Junker 1900 : 94f.).
270 Diese – und zahlreiche andere – Autoren und Autorinnen wurden auch im Deutschen Reich
verlegt und waren somit auch für den habsburgischen Markt zugänglich. Diese Produktion wird
hier jedoch nicht berücksichtigt, da im vorliegenden Kontext die Entstehungsbedingungen in der
Habsburgermonarchie zur Debatte stehen. Die fast vollständige Absenz vieler herausragender
»Klassiker« der italienischen Literatur im vorliegenden Korpus der in der Habsburgermonarchie
publizierten Übersetzungen (etwa Ariost, Petrarca, Boccaccio und viele andere) ist mit dieser
»Rezeption auf Umwegen« in Verbindung zu setzen. Vgl. etwa zur Ariost Rezeption im deutsch
sprachigen Raum Kroes (1990), zur Tasso Rezeption Schulz Buschhaus (1990), zur Dante Re
zeption Stackelberg (1997 : 76ff.).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437