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Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 369
Einerseits handelt es sich im »ethnisch-kulturell dicht durchmischten Habs-
burgerstaat« (Stachel 2001 : 20) um Kommunikationsvorgänge und Transfer-
prozesse, zu denen etwa auch Reisebeschreibungen293 oder die Mittlertätigkeit
von Buchhändlern und Kaufleuten zählen (vgl. Espagne 1997), andererseits ist
es die für die Monarchie besonders merkmalhafte Zwei- und Vielsprachigkeit,
die die Komplexität dieses Raumes ausmacht. Hier treffen somit alle jene Pro-
zesse aufeinander, die sowohl mit als auch ohne Vermittlungsinstanzen zustande
kommen. Der Fokus der folgenden Ausführungen liegt auf dem zweitgenannten
Charakteristikum.
Für die Habsburgermonarchie wird nicht nur Plurilingualität an sich als kon-
stitutiv angesehen,294 sondern auch die den dynamischen Prozessen innerhalb
eines Kommunikationsraums eingeschriebenen Konfliktsituationen :
[W]er in den Habsburgerländern damals wohnte oder den Habsburgern gar (in
welcher Funktion auch immer) diente, [konnte] a fortiori vielfältigen Sprachkon-
takten und Sprachkonflikten gar nicht aus dem Weg gehen […]. (Goebl 1997 : 106,
Hervorh. i. O.)
Multiethnischen Gesellschaften ist somit ein Spannungspotenzial inhärent, das
durch das Gefälle zwischen Gebrauch und Prestige geprägt ist ; aus einer solchen
funktionalen Asymmetrie ergibt sich schließlich eine di- oder polyglossische
Hierarchisierung von Sprachen, die die Herrschaftsverhältnisse widerspiegelt
(vgl. Rindler-Schjerve 1997 : 17f.). Im Kontext dieser durch Machtverhält-
nisse bedingten sprachlichen Konstellationen erscheinen die Unterschiede in
der Einstellung zu den verschiedenen sprachlichen Anwendungsbereichen auf-
schlussreich : Konflikte gruppieren sich eher um den öffentlichen Gebrauch be-
stimmter Sprachen, also in der Verwaltung oder im Unterricht, wo es verstärkt
auch um den schriftlichen Gebrauch geht, denn die innerhalb der Privatsphäre
293 Der Zusammenhang zwischen Reisetätigkeit, Reisebeschreibungen und Übersetzen wurde be-
reits von Goethe oder auch Schleiermacher thematisiert (vgl. Stark 1999 : 143) und ist auch in
jüngerer Zeit wiederholt Diskussionsgegenstand von translationswissenschaftlicher Seite ; vgl.
etwa Bassnett (2000) oder Agorni (2002).
294 Der hohe Stellenwert der Multilingualität (und damit – im vorliegenden Kontext – des Über-
setzens) und ihre Aktualität für den politischen Alltag im Kommunikationsraum der Habsbur-
germonarchie spiegelt sich in der Wahl des Themas, das der Präsident der Kaiserlichen Akademie
der Wissenschaften, Joseph von Hammer-Purgstall, für seinen Festvortrag anlässlich der Feier des
fünfjährigen Bestehens der Akademie im Jahr 1852 wählte : »Vortrag über die Vielsprachigkeit«
(Hammer-Purgstall 1852 ; vgl. auch Stachel 2001 : 42).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437