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56 | Künstlerische Inventionen, Modelle und Entwürfe
der Zweige umspielt. Der schwere und üppige Akanthus italienischer Prägung wird
unter dem Einfluss französischer Ornamentformen modifiziert, er wirkt nun leicht,
gekurvt und stark ausgedünnt. Antonio Aliprandi (*1654) griff 1708 auf die Inventio-
nen Bussis bei der Ausschmückung der Heiligenkreuzer Sakristei und anderer Räume
des Klosters mit Stuckarbeiten zurück.116 Vegetabile Schnitzarbeiten, die stilistisch
kaum Unterschiede zum Formenvokabular Aliprandis erkennen lassen, dominieren
des Weiteren das Aussehen der Gestühlsbrüstung. Offensichtlich wurden die Formen
der Stuckornamente beim Entwurf der Schnitzarbeiten übernommen, falls nicht Ali-
prandi selbst Muster für den Schnitzzierrat der Brüstungselemente gezeichnet hatte.
Ein weiteres Beispiel für diese Vorgehensweise liefert ein Doppelbeichtstuhl in
der Stiftskirche Wilhering von 1750/60. Schon im ersten Band der Untersuchung
wurde auf das Faktum hingewiesen, dass zwischen den Schnitzereien am Möbel und
einem Teil der Stuckarbeiten des Kirchengewölbes erstaunlich große Übereinstim-
mungen bestehen. Das führt zur Annahme, dass zumindest von einer mittelbaren Ein-
flussnahme der Stuckkünstler auf den Bildschnitzer auszugehen ist. Zu denken wäre
dabei vor allem an das Fortwirken von Gestaltungsmustern, die Johann Georg Übel-
her (1703–1763) und Johann Michael Feichtmayr (1709/10–1772), zwei bedeutende
Meister der Wessobrunner Schule, um 1744 mit ihren Arbeiten im Querschiff und
im Chor der Klosterkirche einführten. Am Dekorationssystem, am Duktus und am
Charakter der Schnitzarbeiten zeigt sich, wie sehr die Kunst der Stuckateure auf die
der Bildhauer einwirkte. Möglich wäre aber ebenso, dass der Auszier des Beichtstuhls
detailreiche Skizzen Feichtmayrs zugrunde lagen, ersann er doch Altarentwürfe mit
vergleichbaren Verzierungselementen.117 Zuletzt sei noch auf die Stuckarbeiten in der
Pfarrkirche Unsere Liebe Frau zu Brixlegg aus den späten 1760er-Jahren aufmerksam
gemacht. Die auffallend leichten und luftigen Rocaillemotive der Stuckkünstler finden
ihren Widerhall im Zierrat der dortigen Bankgarnitur (Abb. 295).
Wichtig ist bei diesen Überlegungen der Hinweis, dass eine Beeinflussung im Ge-
gensinn selbstverständlich ebenfalls möglich wäre, dass also Tischler auch die Arbei-
ten anderer Gewerke geprägt haben könnten. Allerdings ist davon auszugehen, dass
Künstler und Handwerker, die wie Maler, Stuckkünstler oder Bildschnitzer aufgrund
ihres Renommees überregional tätig waren, weniger bekannten Kräften die Arbeits-
vorlagen lieferten, nicht umgekehrt.118
116 Neumann, Handwerk (1879), 163 ; Preimesberger, ebd., 327.
117 Maier, Stuckmarmor (2012), Abb. 59, 60, 64, 80, 85 usw.
118 So entstanden die Stuckverzierungen in der Innsbrucker Hofkirche bis 1692 nach Entwürfen und
unter Leitung des Hofgoldschmiedes Johann (?) »Senex« Fries. Felmayer, Hofkirche (1986), 239, 273.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Volume II: Kunstlandschaften im Norden, Süden und Westen
- Title
- Sakralmöbel aus Österreich
- Subtitle
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Volume
- II: Kunstlandschaften im Norden, Süden und Westen
- Author
- Michael Bohr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21246-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 628
- Keywords
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Vorwort 11
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Die Auftragsvergabe 27
- II. Handwerker und Kunsthandwerker 35
- III. Künstlerische Inventionen, Modelle und Entwürfe 43
- Zur Geschichte 43
- Allgemeines 44
- Modelle für Sakralmöbel 45
- Die Frage nach der Urheberschaft von Entwürfen für Sakralmöbel 47
- Entwürfe und Modelle von Architekten und Baumeistern 47
- Entwürfe und Modelle von »Tischler-Architekten« 50
- Entwürfe und Modelle von Tischlern und Zimmerleuten 51
- Entwürfe von Bildhauern und Bildschnitzern 53
- Entwürfe eines Theateringenieurs und eines Theaterdekorateurs 53
- Entwürfe von Ornamentkünstlern und die Rezeption von Ornamentstichen 54
- Entwürfe von Stuckateuren und die Rezeption von Stuckarbeiten 55
- IV. Barocke Möbel und sakraler Raum 57
- V. Zeittypische Stilbildungen 69
- VI. Österreichische Kunstlandschaften und regionale
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 91
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 91
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 91
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 92
- I. Sakralbauten im Burgenland 93
- II. Sakralbauten in Kärnten 114
- Friesach, Stadtpfarrkirche hl. Bartholomäus 114
- Gösseling, Filialkirche hl. Michael 120
- Griffen, Ehemaliges Prämonstratenserstift 122
- Griffen, Alte Pfarrkirche Unsere Liebe Frau 122
- Griffen, Pfarr- und ehemalige Stiftskirche Mariae Himmelfahrt 125
- Gurk, Konkathedrale und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 129
- Klagenfurt, Dom- und Stadtpfarrkirche St. Peter und Paul 146
- Loschental, Filialkirche hl. Josef 151
- Benediktinerstift St. Paul im Lavanttal 154
- Villach, Stadthauptpfarrkirche hl. Jakob d. Ä 171
- Völkermarkt, Stadtpfarrkirche hl. Maria Magdalena 177
- III. Sakralbauten in Salzburg/Stadt und Land 183
- Maria Plain, Wallfahrtskirche Maria Plain (Maria Himmelfahrt) 183
- Mattsee, Kollegiatstift 189
- Michaelbeuern, Benediktinerstift 196
- Salzburg, Benediktiner-Erzabtei St. Peter 206
- Salzburg, Dreifaltigkeitskirche 219
- Salzburg, Metropolitankirche hll. Rupert und Virgil 229
- Salzburg, St. Markus 244
- Salzburg-Mülln, Stadtpfarrkirche zu Unserer Lieben Frau Mariae
- Himmelfahrt 248
- IV. Sakralbauten in der Steiermark 255
- Frauenberg, Pfarr- und Wallfahrtskirche Mariä Opferung 255
- Graz, Barmherzige Brüder, Kloster und Spital 263
- Graz, Dom- und Pfarrkirche St. Ägidius 272
- Graz, Franziskanerkloster 289
- Graz, Pfarr- und Wallfahrtskirche Mariatrost 292
- Graz, Pfarrkirche St. Andrä 305
- Graz, Welsche Kirche / Kirche hl. Franz de Paula 309
- Gröbming, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 312
- Mariahof, Pfarrkirche hl. Maria 323
- Neuberg an der Mürz, Pfarrkirche Maria Himmelfahrt 333
- Pöllau, Pfarrkirche St. Veit 347
- Pürgg, Pfarrkirche St. Georg 359
- Rein, Zisterzienserstift 365
- Rottenmann, Stadtpfarrkirche St. Nikolaus 381
- St. Lambrecht, Benediktinerabtei 386
- Vorau, Augustiner-Chorherrenstift 404
- V. Sakralbauten in Tirol 419
- Bad Mehrn, Filialkirche hl. Bartholomäus 419
- Brixlegg, Pfarrkirche Unsere Liebe Frau 424
- Innsbruck, Hofkirche zum hl. Kreuz 430
- Innsbruck, Jesuitenkirche zur hl. Dreifaltigkeit 437
- Innsbruck, Servitenkloster 449
- Kramsach, Maria Thal, Pfarrkirche hl. Dominikus 459
- Kundl, Filial- und Wallfahrtskirche St. Leonhard auf der Wiese 469
- St. Georgenberg, Benediktinerabtei 478
- Stams, Zisterzienserabtei 487
- Wilten, Prämonstratenser-Chorherrenstift 513
- VI. Sakralbauten in Vorarlberg 525
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse – Literatur- Zusammenfassung und Ausblick
- Ziele der Untersuchung 551
- Zum strukturellen Aufbau der beiden Bücher 551
- Auftraggeber und Finanziers der Ausstattungen 552
- Wer waren die Tischler ? 553
- Wer waren die Entwerfer der Möbelgarnituren ? 555
- Zusammenarbeit von Tischlern mit anderen Gewerken 556
- Sakralmöbel und Ambiente 558
- Vermittlung und Weitergabe neuer Formen – Österreichische
- Kunstlandschaften 560
- Fazit und Ausblick 562
- Glossar 564
- Ortsindex 573
- Künstlerverzeichnis 577
- Abkürzungsverzeichnis 582
- Abbildungsnachweis 586
- Literaturverzeichnis 587