Seite - 7 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Bild der Seite - 7 -
Text der Seite - 7 -
produktiven, waltet die Unruhe schöpferisch fort als ein Ungenügen an den
Werken des Tages, sie schafft ihm jenes »höhere Herz, das sich quält«
(Dostojewski), jenen fragenden Geist, der über sich selbst hinaus eine
Sehnsucht dem Kosmos entgegenstreckt. Alles, was uns über unser
Eigenwesen, unsere persönlichen Interessen spürerisch, abenteuerlich ins
Gefährliche der Frage hinaustreibt, danken wir dem dämonischen Teile
unseres Selbst. Aber dieser Dämon ist nur insolange eine freundlich fördernde
Macht, als wir ihn bewältigen, als er uns dient zur Spannung und Steigerung:
seine Gefahr beginnt, wo diese heilsame Spannung zu Überspannung wird,
wo die Seele dem aufrührerischen Trieb, dem Vulkanismus des Dämonischen,
verfällt. Denn der Dämon kann seine Heimat, sein Element, die
Unendlichkeit, nur dadurch erreichen, daß er mitleidslos das Endliche, das
Irdische, also den Leib, in dem er wohnhaft weilt, zerstört: er hebt an mit
Erweiterung, aber drängt zur Zersprengung. Darum füllt er Menschen, die ihn
nicht rechtzeitig zu bändigen wissen, erfüllt er die dämonischen Naturen mit
fürchterlicher Unruhe, reißt ihnen das Steuer ihres Willens übermächtig aus
den Händen, daß sie, willenlos Getriebene, nun in dem Sturm und gegen die
Klippen ihres Schicksals taumeln. Immer ist Lebensunruhe das erste
Wetterzeichen des Dämonischen, Unruhe des Blutes, Unruhe der Nerven,
Unruhe des Geistes (weshalb man auch jene Frauen die dämonischen nennt,
die Unruhe, Schicksal, Verstörung um sich verbreiten). Immer umschwebt das
Dämonische ein Gewitterhimmel von Gefahr und Gefährdung des Lebens,
tragische Atmosphäre, Atem von Schicksal.
So gerät jeder geistige, jeder schöpferische Mensch unverweigerlich in den
Kampf mit seinem Dämon, und immer ist es ein Heldenkampf, immer ein
Liebeskampf: der herrlichste der Menschheit. Manche erliegen seinem
hitzigen Andrängen wie das Weib dem Manne, sie lassen sich vergewaltigen
von seiner übermächtigen Kraft, sie fühlen sich selig durchdrungen und
überströmt vom fruchtbaren Element. Manche bändigen ihn und zwingen
seinem heißen zuckenden Wesen ihren kalten, entschlossenen, zielhaften
Manneswillen auf: durch ein Leben hin währt oft eine solche feindlich-
glühende, liebevoll-ringende Umschlingung. Im Künstler nun und in seinem
Werke wird dieses großartige Ringen gleichsam bildhaft: bis in den letzten
Nerv seines Schaffens zittert der heiße Atem, die sinnliche Vibration der
Brautnacht des Geistes mit seinem ewigen Verführer. Nur im Schöpfer
vermag sich das Dämonische aus dem Schatten des Gefühles in Sprache und
Licht zu ringen, und am deutlichsten erkennen wir seine leidenschaftlichen
Züge in jenen, die ihm erliegen, im Typus des vom Dämon hinabgerissenen
Dichters, für den ich hier die Gestalten Hölderlins, Kleistens und Nietzsches
als die sinnvollsten der deutschen Welt gewählt habe. Denn wenn der Dämon
selbstherrlich in einem Dichter waltet, ersteht in flammenhaft aufschießender
7
Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Titel
- Der Kampf mit dem Dämon
- Untertitel
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1925
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199