Seite - 11 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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eine durchaus kapitalistische: er legt jedes Jahr ein gemessenes Teil an
Erfahrung als geistigen Gewinn sparend zurück, den er am Jahresende als
sorgfältiger Kaufmann dann ordnend in seinen »Tagebüchern« und
»Annalen« registriert, sein Leben trägt Zins wie der Acker die Frucht. Jene
aber wirtschaften wie Spieler, immer werfen sie, in einer herrlichen
Gleichgültigkeit gegen die Welt ihr ganzes Sein, ihre ganze Existenz auf eine
Karte, Unendliches gewinnend, Unendliches verlierend – das Langsame, das
Sparbüchsenhafte des Gewinns ist dem Dämon verhaßt. Erfahrungen, die
einem Goethe das Wesenhafte des Daseins bedeuten, haben für sie keinen
Wert: so lernen sie nichts an ihren Leiden als verstärktes Gefühl und gehen als
Schwärmer, als heilig Fremde sich selber verloren. Goethe aber ist der ständig
Lernende, das Buch des Lebens für ihn eine unablässig aufgeschlagene
Aufgabe, die gewissenhaft, Zeile um Zeile, mit Fleiß und Ausdauer bewältigt
werden will: ewig fühlt er sich schülerhaft, und spät erst wagt er das
geheimnisvolle Wort:
Leben hab ich gelernt, fristet mir, Götter, die Zeit.
Sie aber finden das Leben weder erlernbar noch lernenswert: ihre Ahnung
höheren Seins ist ihnen mehr als alle Apperzeption und sinnliche Erfahrung.
Was ihnen der Genius nicht schenkt, ist ihnen nicht gegeben. Nur von seiner
strahlenden Fülle nehmen sie ihr Teil, nur von innen, von dem auf gehitzten
Gefühl lassen sie sich steigern und spannen. So wird Feuer ihr Element,
Flamme ihr Tun, und dies Feurige, das sie erhebt, zehrt ihnen das ganze
Leben weg. Kleist, Hölderlin, Nietzsche sind verlassener, erdfremder,
einsamer am Ende ihres Daseins als am Anbeginn, indes bei Goethe zu jeder
Stunde der letzte Augenblick der reichste ist. Nur der Dämon in ihnen wird
stärker, nur das Unendliche durchwaltet sie mehr: Es ist Armut an Leben in
ihrer Schönheit und Schönheit in ihrer Armut an Glück.
Aus dieser durchaus polaren Einstellung ins Leben ergibt sich bei innerster
Verwandtschaft im Genius ihr verschiedenes Wertverhältnis zur Wirklichkeit.
Jede dämonische Natur verachtet die Realität als eine Unzulänglichkeit, sie
bleiben – Hölderlin, Kleist, Nietzsche, jeder in einer andern Weise – Rebellen,
Aufrührer und Empörer gegen die bestehende Ordnung. Lieber zerbrechen
sie, als daß sie nachgeben; bis ins Tödliche, bis in die Vernichtung treiben sie
ihre unbeirrbare Intransigenz. Dadurch werden sie (prachtvolle) tragische
Charaktere, ihr Leben eine Tragödie. Goethe dagegen – wie deutlich war er
über sich selbst! – vertraut Zelter an, er fühle sich nicht zum Tragiker
geboren, »weil seine Natur konziliant sei«. Er will nicht wie jene den ewigen
Krieg, er will – als »erhaltende und verträgliche Kraft«, die er ist – Ausgleich
und Harmonie. Er unterordnet sich mit einem Gefühl, das man nicht anders
als Frommheit nennen kann, dem Leben als der höheren, der höchsten Macht,
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Titel
- Der Kampf mit dem Dämon
- Untertitel
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1925
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199