Seite - 24 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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Tot und dürftig wie ein Stoppelfeld;
Ach! es singt der Frühling meinen Sorgen
Noch, wie einst, ein freundlich tröstend Lied,
Aber hin ist meines Lebens Morgen,
Meines Herzens Frühling ist verblüht.
Ewig muß die liebste Liebe darben,
Was wir lieben, ist ein Schatten nur,
Da der Jugend goldne Träume starben,
Starb für mich die freundliche Natur;
Das erfuhrst du nicht in frohen Tagen,
Daß so ferne dir die Heimat liegt,
Armes Herz, du wirst sie nie erfragen,
Wenn dir nicht ein Traum von ihr genügt.
In diesen Strophen (die sich in unzählbaren Varianten durch sein ganzes
Werk wiederholen) ist Hölderlins romantische Lebenseinstellung schon
vollkommen fixiert: der ewig zurückgewandte Blick auf die »Zauberwolke, in
die der gute Geist meiner Kindheit mich hüllte, daß ich nicht zu früh das
Kleinliche und Barbarische der Welt sah, die mich umgab«. Schon der
Unmündige sperrt sich gegen jeden Zustrom von Erlebnis feindlich ab:
Zurück und Empor sind die einzigen Zielrichtungen seiner Seele, niemals
zielt sein Wille ins Leben hinein, immer darüber hinaus. Wie Quecksilber
gegen Feuer und Wasser, wehrt sich sein Eigenelement gegen alle Bindung
und Verschmelzung. Darum umgürtet ihn schicksalhaft eine unbesiegliche
Einsamkeit.
Hölderlins Entwicklung ist im eigentlichen abgeschlossen, als er die Schule
verläßt. Er hat sich noch gesteigert im Sinne der Intensität, nicht aber entfaltet
im Sinne der Aufnahme, der stofflich-sinnlichen Bereicherung. Er wollte
nichts lernen, nichts annehmen von der ihm widersinnigen Sphäre des
Alltags; sein unvergleichlicher Instinkt für Reinheit verbot ihm Vermengung
mit dem gemischten Stoff des Lebens. Damit wird er aber zugleich – im
höchsten Sinne – Frevler gegen das Weltgesetz und sein Schicksal im antiken
Geist Entsühnung einer Hybris, einer heldisch heiligen Überhebung. Denn das
Gesetz des Lebens heißt Vermengung, es duldet kein Außensein in seinem
ewigen Kreislauf: wer sich weigert, in diese warme Flut einzutauchen, der
verdurstet am Strande; wer nicht teilnimmt, dessen Leben ist bestimmt, ein
ewiges Außen zu bleiben, tragische Einsamkeit. Hölderlins Anspruch, nur der
Kunst und nicht dem Dasein, nur den Göttern und nicht den Menschen zu
dienen, enthält – ich wiederhole, im höchsten, im transzendentalen Sinne –
wie jener seines Empedokles eine irreale, eine überhebliche Forderung. Denn
bloß den Göttern ist es gegönnt, ganz im Reinen, im Ungemengten zu walten,
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Titel
- Der Kampf mit dem Dämon
- Untertitel
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1925
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199