Seite - 33 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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der feindlichen Welt offensteht, und immer wieder sie beschwören: »Haben
Sie doch Geduld mit mir.« Schließlich sinkt er nieder an der Schwelle als
zertrümmertes Wrack. Sein Kampf um das Leben in Idealität hat ihm das
Leben gekostet.
Dieses Heldentum Hölderlins ist darum so unsagbar herrlich, weil es ohne
Stolz ist, ohne Siegesvertrauen: er fühlt nur die Sendung, den unsichtbaren
Ruf, er glaubt an die Berufung, nicht an den Erfolg. Niemals fühlt er, der
unendlich Verwundbare, sich als der hürnene Siegfried, an dem alle Speere
des Schicksals zerschellen müssen, niemals sieht er sich als den Siegreichen,
Erfolgreichen. Man verwechsle darum nicht Hölderlins namenlose
Gläubigkeit an die Dichtung als den höchsten Sinn des Lebens mit einer
eigenen, also persönlichen Gewißheit als Dichter: so fanatisch er der Mission
vertraute, so demütig fromm war er im Hinblick auf die eigene Begabung.
Nichts ist ihm fremder als das männliche, fast krankhafte Selbstvertrauen
etwa Nietzsches, der sich als Lebensspruch das Wort gesetzt: Pauci mihi satis,
unus mihi satis, nullus mihi satis – ein flüchtiges Wort kann ihn entmutigen,
eine Ablehnung Schillers ihn Monate verstören. Wie ein Knabe, ein
Schuljunge beugt er sich vor den ärmlichsten Versdichtern, vor einem Conz,
einem Neuffer – aber unter dieser persönlichen Bescheidenheit, dieser
äußersten Weichheit des Wesens, steht stahlhart der Wille zur Dichtung, die
Dienstwilligkeit zum Opfergang. »O Lieber«, schreibt er an einen Freund,
»wann wird man unter uns erkennen, daß die höchste Kraft in ihrer Äußerung
zugleich die bescheidenste ist und daß das Göttliche, wenn es hervorgeht, nie
ohne eine gewisse Demut und Trauer sein kann.« Sein Heldentum ist nicht
das eines Kriegers, Heldentum der Gewalt, sondern ein Heldentum des
Märtyrers, die freudige Bereitschaft, zu leiden für ein Unsichtbares und sich
zerstören zu lassen für seinen Glauben, für seine Idee.
»Sei’s, wie dir dünket, o Schicksal« – mit diesem Wort beugt sich der
Unbeugsame fromm vor seinem selbstgeschaffenen Verhängnis. Und ich weiß
keine höhere Form des Heroismus auf Erden als diese einzige, die nicht
befleckt ist vom Blute und vom gemeinen Gieren nach Macht: der edelste
Mut des Geistes ist immer ein Heldentum ohne Brutalität, nicht der
sinnlose Widerstand, sondern die wehrlose Hingabe an die übermächtige und
als heilig erkannte Notwendigkeit.
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Titel
- Der Kampf mit dem Dämon
- Untertitel
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1925
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199