Seite - 38 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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Wenn einer, wie sie, sein will und nicht
Ungleiches dulden, der Schwärmer.
Der Dichter gerät, weil er an die Urmächte, die übergewaltigen, greift, in
ständige Gefahr: er ist gleichsam der Blitzableiter, wo eine einzelne
aufstrebende dünne Spitze in sich den zuckenden Ausbruch der Unendlichkeit
auffängt, denn er, der Mittler, muß ja »ins Lied gehüllt« den Irdischen »das
himmlische Feuer reichen«. In herrlicher Herausforderung tritt er, der immer
Einsame, den gefährlichen Mächten entgegen, und seine atmosphärische
Überfülltheit mit ihrer gedrängten Feurigkeit ist fast eine tödlich gewaltsame.
Denn weder darf er die geweckte Flamme, die brennende Weissagung, in sich
schweigend verschließen,
Verzehren würd’ er
Und wäre gegen sich selbst,
Denn nimmer duldet
Die Gefangenschaft das himmlische Feuer –
noch darf er ganz das Unsagbare sagen: Verschweigung des Göttlichen
wäre Frevel des Dichters ebenso wie die vollkommene Aussage, der restlose
Verrat im Wort. Er muß das Göttliche, das Heldische ewig unter den
Menschen suchen und dabei ihre Niedrigkeit erleiden, ohne darum an der
Menschheit zu verzweifeln, er muß die Götter rühmen und als Herrliche
verkünden, die ihn, den Verkünder, einsam lassen in seinem Elend der Erde.
Aber Rede und Schweigen, beides wird ihm zur heiligen Not: die Geweihten
sind gezeichnet.
Hölderlin hat also volle Bewußtheit seines tragischen Geschicks: wie bei
Kleist und Nietzsche überhöht das tragische Untergangsgefühl schon früh sein
Leben und wirft den Schatten deutsam um ein Jahrzehnt voraus. Aber dieser
zarte, schmächtige Pastorenenkel Hölderlin hat wie jener Pastorensohn, wie
Nietzsche, den antiken Mut, ja die promethidenhafte Lust, sich mit dem
Unendlichen zu messen. Niemals versuchte er das Dämonisch-Überflutende
seines Wesens, wie Goethe, zu dämmen, zu exorzisieren oder zu zügeln:
während Goethe ewig auf der Flucht vor seinem Schicksal ist, um den
ungeheuren Schatz des Lebens zu retten, den er sich anvertraut fühlt, tritt
eherner Seele und doch ungerüstet Hölderlin mit keiner anderen Waffe als
seiner Reinheit dem Gewitter entgegen. Furchtlos und fromm zugleich (dieser
herrliche Zwieklang seines Wesens durchklingt sein ganzes Schicksal wie
jedesGedicht) erhebt er die Stimme zum Hymnus, um all die Brüder und
Märtyrer der Dichtungen an den heiligen Glauben zu mahnen, an das
Heldentum der höchsten Verantwortung, an das Heldentum ihrer Mission:
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Titel
- Der Kampf mit dem Dämon
- Untertitel
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1925
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199