Seite - 43 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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einen eigenen Zustand dar, sein Gedicht ist ein unablässiger Hymnus auf die
Produktivität, eine erschütternde Klage über die Sterilität, denn – »die Götter
sterben, wenn die Begeisterung stirbt«. Dichtung bleibt für ihn unlösbar an
Begeisterung gebunden, so wie sich Begeisterung nicht anders erlösen kann
als im Gesang: darum ist sie die Erlösung des einzelnen wie der ganzen
Menschheit. »O Regen vom Himmel, o Begeisterung! Du wirst den Frühling
der Völker uns wiederbringen«, schwärmt schon sein Hyperion, und sein
Empedokles enthüllt nichts anderes als den unerhörten Kontrast zwischen
göttlichem (also produktivem) und irdischem (also wertlosem) Gefühl. Seine
ganz eigene Art der Inspiration ist deutlich abzulesen aus jenem tragischen
Gedicht. Der Urzustand aller Produktivität ist das dämmernde, glücklose,
leidlose Gefühl der inneren Schau, des sinnenden Traumes:
Der Unbedürftge wandelt
In seiner eignen Welt; in leiser Götterruhe geht
Er unter seinen Blumen, und es scheun
Die Lüfte sich, den Glücklichen zu stören.
Er fühlt nicht die Umwelt: nur aus ihm quillt die geheime Kraft des
Auftriebs:
Ihm schweigt die Welt, und aus sich selber wächst
In steigendem Vergnügen die Begeistrung
Ihm auf, bis aus der Nacht des schöpferischen
Entzückens, wie ein Funke, der Gedanke springt.
Nicht also aus Erlebnis, aus einer Idee, aus einem Willen entzündet sich in
Hölderlin der dichterische Trieb – »aus sich selber wächst« die Begeisterung.
Sie entzündet sich nicht an der Reibfläche eines bestimmten Objektes:
»unverhofft« »göttlich« flammt sie auf, die unbegreifliche Sekunde, da
unvergeßlich
Der unverhoffte Genius über uns,
Der schöpferische, göttlich kam, daß stumm
Der Sinn uns ward und wie vom
Strahl gerührt das Gebein erbebte.
Inspiration ist Zündung von oben, Entflammung durch den Blitz. Und nun
schildert Hölderlin den eigenen herrlichen Zustand des Aufloderns, die
Wegzehrung alles irdischen Erinnerns in den ekstatischen Flammen:
Hier fühlt er wie ein Gott
In seinen Elementen sich, und seine Lust
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Titel
- Der Kampf mit dem Dämon
- Untertitel
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1925
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199