Seite - 58 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Bild der Seite - 58 -
Text der Seite - 58 -
wie ein Adler, wenn mir nicht dies, dies Eine erschienen wäre?« Reiner,
geweihter erscheint ihm die Welt, seit sich seine ungeheure Einsamkeit in eine
Harmonie gelöst hat.
Ist nicht heilig mein Herz, schöneren Lebens voll,
Seit ich liebe?
Für einen Lebensaugenblick weicht die Wolke der Schwermut von
Hölderlins Stirn:
Und ausgeglichen
Ist eine Weile das Schicksal.
Ein einziges Mal, dieses einzige Mal erreicht sein Leben für eine flüchtige
Spanne die Form seines Gedichtes: die selige Schwebe.
Aber der Dämon in ihm bleibt wach, die »fürchterliche Unrast«.
Seines Friedens
Blume, die zärtliche, blüht nicht lange.
Hölderlin ist aus dem Geschlecht derer, denen es nicht gestattet ist, an einer
Stätte zu ruhn. Auch die Liebe »sänftigt ihn nur, um ihn wieder wilder zu
machen«, wie Diotima von seinem Spiegelbruder Hyperion sagt, und er
selbst, der Ahnendste aller, unwissend, aber vom Geist des Vorwissens
magisch berührt, weiß wohl um das Unheil, das ihm von innen entwächst. Er
weiß, sie dürfen nicht weilen, »zufriedengestellt wie die liebenden Schwäne«
– und seines schwarz aufwölkenden, heimlichen Unmuts Geständnis ist
offenkundig in seiner »Abbitte«:
Heilig Wesen! gestört hab ich die goldene
Götterruhe Dir oft, und der geheimeren,
Tiefern Schmerzen des Lebens
Hast Du manche gelernt von mir.
Das »wunderbare Sehnen dem Abgrund zu«, jenes geheimnisvolle Ziehen,
das die eigene Tiefe sucht, hebt unmerklich an, und allmählich gerät er in ein
leises Fieber noch unbewußter Unzufriedenheit. Immer rascher verdüstert sich
die tägliche Umwelt vor seinem beleidigten Blick, und wie ein Blitz aus dem
gestauten Gewölk fährt aus einem Brief das Wort auf: »Ich bin zerrissen von
Liebe und Haß«. Seine Empfindlichkeit spürt aufgereizt den banalen
Reichtum des Hauses, der auf die Menschen seiner Umgebung wirkt »wie bei
den Bauern neuer Wein«, sein feindseliges Gefühl imaginiert sich
58
Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Titel
- Der Kampf mit dem Dämon
- Untertitel
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1925
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199