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Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Seite - 85 -
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wie ein Bettler«, und, wie Matthisson scheu vor dem Gespenstischen zurückweicht, mit dumpfer Stimme seinen Namen murmelt: »Hölderlin«. Nun ist das Wrack zerschellt. Noch einmal treiben die Trümmer seines Lebens zurück bis ins mütterliche Haus, aber die Masten der Zuversicht, das Steuer der Vernunft sind für immer zerbrochen, und von nun an lebt Hölderlins Geist in einer nie mehr geklärten und nur manchmal vom geheimnisvollen orphischen Blitzen erhellten Nacht. Im Gespräch kann er den offenen Sinn nicht immer erfassen, im Brief verschränkt sich einfachste Absicht zu barockem Geknäul, immer mehr verschließt sich sein Wesen der Welt. Schicht um Schicht zerbröckelt sein waches Wesen, die Entpersönlichung vollendet sich, der großartig Unbewußte wird nun ganz Sprachrohr pythischen Worts, »Mundstück jenseitiger Imperative« im Sinne Nietzsches, Deuter und Sager erhabener Dinge, die der Dämon ihm zuflüstert und die sein eigener Sinn wach nicht mehr weiß. Die Menschen weichen ihm vorsichtig aus (denn oft bricht aus ihm wie ein gefesseltes Tier die Überreiztheit der Nerven), oder sie spotten seiner: nur die Bettina, die wie bei Beethoven und Goethe die Gegenwart des Genius atmosphärisch ahnend fühlte, und Sinclair, der sagenhaft herrliche Freund, erkennen eines Gottes Gegenwart in der fast tierischen Dumpfheit des »in himmlische Gefangenschaft Verkauften«. »Gewiß ist mir doch bei diesem Hölderlin«, schreibt die herrliche Ahnerin, »als müsse eine göttliche Gewalt wie mit Fluten ihn überströmt haben, und zwar die Sprache, in übergewaltigem raschem Sturz seine Sinne überflutend und diese darin ertränkend; und als die Strömungen sich verlaufen hatten, da waren die Sinne geschwächt und ertötet.« Edler, wissender hat keiner sein Geschick ausgesagt und keiner den Widerhall jener dämonischen Gespräche (uns verloren wie die Improvisationen Beethovens) großartiger der Seele bewußt gemacht, als wenn sie der Günderode berichtet: »ihm zuhören sei gerade, als wenn man es dem Tosen des Windes vergleiche, denn er brause immer in Hymnen dahin, die abbrechen, wie wenn der Wind sich dreht – dann ergreife es ihn wie ein tieferes Wissen, wobei einem die Idee, daß er wahnsinnig sei, ganz verschwinde; und daß sich anhöre, was er über die Verse und über die Sprache sage, wie wenn er nah dran sei, das göttliche Geheimnis der Sprache zu erleuchten. Und dann verschwinde ihm wieder alles im Dunkel, und dann ermatte er in der Verwirrung und meine, es werde ihm nicht gelingen«. Sein ganzes Wesen verliert sich in Musik: stundenlang sitzt er (wie Nietzsche in jenen letzten Turiner Tagen) am Klavier und greift mit klappernden Fingernägeln Akkorde in unaufhörlicher Bemühung, als wollte er die Melodien über ihm, die unendlichen, fassen, die seinen schmerzenden Kopf durchbrausen, oder er rezitiert, immer im Rhythmus, Worte und Gesänge monologisch vor sich hin. Der erst Hingerissene des Gedichts, der selige Enthusiast wird nun allmählich der Hinabgerissene, der Hinweggerissene von 85
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Der Kampf mit dem Dämon Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Titel
Der Kampf mit dem Dämon
Untertitel
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Autor
Stefan Zweig
Datum
1925
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
202
Schlagwörter
Literatur, Schriftsteller
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 5
  2. Teil 1 - Hölderlin 15
    1. Die heilige Schar 17
    2. Kindheit 21
    3. Bildnis in Tübingen 26
    4. Mission des Dichters 29
    5. Der Mythus der Dichtung 34
    6. Phaeton oder die Begeisterung 40
    7. Ausfahrt in die Welt 46
    8. Gefährliche Begegnung 48
    9. Diotima 56
    10. Nachtigallengesang im Dunkeln 61
    11. Hyperion 63
    12. Der Tod des Empedokles 68
    13. Das Hölderlinsche Gedicht 74
    14. Sturz ins Unendliche 81
    15. Purpurne Finsternis 87
    16. Scardanelli 91
  3. Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
    1. Der Gejagte 97
    2. Bildnis des Bildnislosen 100
    3. Pathologie des Gefühls 103
    4. Lebensplan 111
    5. Ehrgeiz 115
    6. Der Zwang zum Drama 119
    7. Welt und Wesen 125
    8. Der Erzähler 129
    9. Die letzte Bindung 133
    10. Todesleidenschaft 136
    11. Musik des Untergangs 140
  4. Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
    1. Tragödie ohne Gestalten 145
    2. Doppelbildnis 149
    3. Apologie der Krankheit 153
    4. Der Don Juan der Erkenntnis 161
    5. Leidenschaft der Redlichkeit 166
    6. Wandlungen zu sich selbst 172
    7. Entdeckung des Südens 178
    8. Flucht zur Musik 185
    9. Die siebente Einsamkeit 189
    10. Der Tanz über dem Abgrund 193
    11. Der Erzieher zur Freiheit 199
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