Seite - 134 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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er sie an der Kehle und reißt sie ganz hinüber in Gestaltung. Und hier erst
spürt man seine Kraft, weil sie nicht ins Leere strömt, sondern weil hier Kraft
gegen Gegenkraft ringend steht. In diesem Drama verdunstet kein Atom des
inneren Aufschwalls, hier ist Flut und Damm, Strömung und Wehr gleich
mächtig. Kleist hat sich erlöst, indem er nicht aus sich ausfährt, sondern
indem er sich verdoppelt: das Gegensätzliche hat die zerstörende Kraft
verloren, weil er nicht mehr (wie früher) dem einen oder andern Trieb
Freilauf und Übermacht läßt. Das Antinomische seiner Natur ist ihm im
Werke klargeworden. Alle Klarheit aber schafft Erkennen, und Erkenntnis
wieder Versöhnung. Der Leidenschaftliche und der Zuchtvolle in seiner Seele
halten inne in ihrem Kampf und sehen sich in die Augen: die Zucht (der
Kurfürst, der Homburg als Sieger in der Kirche ausrufen läßt) ehrt den
Leidenschaftlichen, der Leidenschaftliche (Homburg, der sein eigenes
Todesurteil fordert) ehrt die Norm. Beide erkennen sich als Teil urewiger
Macht, die Unruhe fordert um der Bewegung, Zucht um der heiligen Ordnung
willen, und indem Kleist seinen irdischen Gegensatz aus der verdunkelten
Brust reißt und unter die Sterne stellt, löst er zum erstenmal seine Einsamkeit
und wird Mitschöpfer der Welt.
Und magisch flutet alles, was er je versucht und gewollt hat, in
gereinigteren, erhobeneren Formen heran, alles beschwichtigt von diesem
Gefühl letzter Verbundenheit und Versöhnung. Alle Leidenschaften seiner
dreißig Jahre sind plötzlich gestaltet da, aber nicht mehr herrscherisch und
übertreibend, sondern gesänftigt und geklärt. Guiskards toll aufgereckter
Ehrgeiz hat eines Jünglings reine tatselige Feurigkeit in dem jungen Helden
Homburg gewonnen, der mordgierige, keulenschwingende, barbarische
Patriotismus der »Hermannsschlacht« ist gemildert und vermännlicht zu
einem wortlos-ernsten Vaterlandsgefühl, Kohlhaasens Rechthaberei und
juridischer Starrsinn vermenschlicht zu klarer Wahrung des Gesetzes in der
Gestalt des Kurfürsten, der Zauberapparat des Käthchens blaut nur wie ein
süßer Mondschein über der sommerlichen Gartenszene, wo der Tod wie ein
Duft vom Jenseits herweht, und Penthesileas Brünstigkeit, die aufgeraste
Lebensgier verebbt zu still sehnsüchtigem Gefühl. Zum erstenmal schwellt
durch ein Werk Kleistens ein ganz verborgener Ton von Güte, ein Hauch von
milder Menschlichkeit und von Verstehen: auch diese letzte Saite, die
silberne, an die er nie gerührt, nun klagt sie die düstere Melodie harfend
hinein. Alles ist plötzlich versammelt, was einen Menschen bewegt, und wie
man von Sterbenden erzählt, daß in ihren letzten Minuten ihr ganzes Leben
gedrängt wiederkehre, so rauscht die ganze Vergangenheit, das scheinbar
falsch gelebte Leben an dieses letzte Werk heran: alle Fehler, alle Irrtümer,
alle Versäumnisse, alles was sinnlos und vergeblich schien, bekommt in
dieser Gestaltung mit einmal einen Sinn. Die Kantische Philosophie, mit der
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Titel
- Der Kampf mit dem Dämon
- Untertitel
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1925
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199