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92 | Kommunen im Klimawandel
Sampling. […] Ich habe sehr früh begriffen, dass es darauf ankommt, schon nach dem ersten
Interview mit der Auswertung zu beginnen, Memos zu schreiben und Hypothesen zu formulie-
ren, die dann die Auswahl der nächsten Interviewpartner nahe legen. Und das Dritte sind die
Vergleiche, die zwischen den Phänomenen und Kontexten gezogen werden und aus denen erst
die theoretischen Konzepte erwachsen. Wenn diese Elemente zusammenkommen, hat man die
Methodologie. […] Wenn die genannten drei Essentials beachtet werden, ist es Grounded The-
ory, wenn nicht, ist es etwas anderes.“ (eigene Hervorhebungen)
Das Ziel einer an GTM orientierten Analyse ist die Entwicklung einer „Theorie“
durch das Verstehen und Beschreiben von sozialen Phänomenen – im vorliegenden
Fall der Rolle von Best Practices im kommunalen Klimaschutz – mittels Kodieren,
theoretischem Sampling und stetigen Vergleichen. Fallauswahl, Erhebungs- und Ko-
dierphasen sowie sukzessive „Theoriekonstruktion“ durch das Schreiben von Me-
mos7 verlaufen dabei nicht linear, sondern parallel bzw. zyklisch. Ausgehend von ers-
ten empirischen Ergebnissen und Erfahrungen im Feld durch Kodieren und Memo-
schreiben werden neue Überlegungen zum Sampling angestellt, die wiederum zu
neuen Daten führen, die nach mehreren Schleifen zur Modellbildung führen. Die zu
entwickelnde „Theorie“ entsteht dadurch in erster Linie aus den erhobenen Daten,
das heißt, sie soll in den Daten begründet sein, woraus sich auch der Begriff Groun-
ded Theory ableitet.
Ich halte den Theoriebegriff in diesem Zusammenhang für potenziell irreführend
und möchte daher näher darauf eingehen. Mit „The Discovery of Grounded Theory“
(1967) machten Glaser und Strauss eine Kampfansage an die damals in der nordame-
rikanischen Soziologie dominanten grand theories und das hypothesenbasierte, de-
duktive Modell. Im Gegensatz dazu ist die Theorie der GTM ein generalisierter und
systematisierter Teil praxisrelevanten Wissensbestandes; sie soll Wissenslücken
durch empirische Sozialforschung schließen. Es handelt sich somit um einen prag-
matischen Theoriebegriff. Der Theoriebegriff kann daher unpassend wirken8, insbe-
sondere, da er eine Verallgemeinerbarkeit und Prognosefähigkeit suggeriert, die im
7 Memos werden ab Forschungsbeginn geschrieben und können erste Kategorien und Ideen
enthalten. Sie dienen der Dokumentation des internen Dialogs des Forschers, notieren den
Analyseverlauf und helfen, den Forschungsprozess zu strukturieren. Memos repräsentieren
so den Weg von den Daten zur Entdeckung des Erklärungsmusters, indem sie den theore-
tischen Reflexionsprozess fördern.
8 Passender erscheint da Glasers (Mey und Mruck 2011: 57) Begriff der „latenten Muster“,
die im Zuge der Forschung zu entwickeln seien und die statt einer Beschreibung auch eine
Erklärung sozialer Phänomene leisten würden. Im Folgenden vermeide ich daher den Be-
griff der „Theorie“ und spreche stattdessen von Erklärungsmustern oder Erklärungsansät-
zen.
Kommunen im Klimawandel
Best Practices als Chance zur grünen Transformation?
- Titel
- Kommunen im Klimawandel
- Untertitel
- Best Practices als Chance zur grünen Transformation?
- Autor
- Nanja Nagorny-Koring
- Verlag
- transcript Verlag
- Ort
- Bielefeld
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4627-0
- Abmessungen
- 15.4 x 23.0 cm
- Seiten
- 324
- Kategorien
- Naturwissenschaften Umwelt und Klima
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 9
- Das Prinzip der Nachahmung 11
- Forschungslücke und Fragestellung 16
- Aufbau der Arbeit 21
- Kommunen im Klimawandel 25
- Problematisierung: Vom Phänomen zum Problem 27
- Klimawandel als Politikproblem 32
- Klimawandel als kommunales Aufgabenfeld 38
- Klimapolitik als Multi-Level-Governance-Problem 48
- Die Stadt als Ursache, Betroffene und Lösung für das Klimaproblem 54
- Klimawandel als ökonomisches Problem 61
- Klimawandel als Problem kommunaler Praxis 65
- Den guten Praktiken auf der Spur 71
- Begriffsgeschichte und Definition 73
- Kritik und Positionalität 78
- Best Practice-Forschung 82
- Projektdesign 90
- Die Kunst, den Klimawandel zu regieren 115
- Gouvernementalität 116
- Klima-Gouvernementalität 126
- Das Praxisregime „kommunaler Klimaschutz“ 132
- New Public Climate Management 141
- Politische Rationalitäten 142
- Klima\Wandel ist regierbar 145
- Politische Programme 162
- Die Regierungsrationalität des Klimaschutzmanagements (1): Vom Projekt zum Prinzip 172
- Die Regierungsrationalität des Klimaschutzmanagements (2): Das Rad nicht neu erfinden 179
- Implikationen einer besonderen Form des Klimaschutzes 186
- Best Climate Practices 189
- Rationalitäten und Technologien 191
- „Mit Ideen und Beispielen zum Erfolg“!? 194
- „Gebt uns gute Beispiele!“ 215
- Reflexion 227
- „Best Practice ist eine Geschichte“ 235
- Zur Performativität von Best Practices 239
- Zum transformativen Potenzial von Best Practices 249
- Fazit: „Klimaschutz leicht gemacht – von Erfolgsbeispielen lernen“? 260
- Literatur 275
- Anhang 315