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232 | Kommunen im Klimawandel
„[…] eine Gesellschaft [ist] eine Gruppe von Menschen […], die untereinander viele durch
Nachahmung oder durch Gegen-Nachahmung [contre-imitation]13 hervorgebrachte Ähnlich-
keiten aufweisen.“ (Tarde [1890] 2009: 13; Hervorhebungen im Original)
Indem Tarde die Nachahmung als Kern der Gesellschaft definiert („Sie [die Gesell-
schaft] ist Nachahmung.“ (Tarde [1890] 2009: 95), rückt er die Frage, wie es dazu
kommt, dass sich kollektive Vorstellungen, Ideen und Wissensformen oder auch Ab-
sichten, Praktiken und Routinen verbreiten, ins Zentrum des Forschungsinteresses.
Dabei geht es ihm nie um ein stabiles und fixiertes Objekt, das kopiert wird, sondern
stattdessen um die „unzähligen Praktiken der Nachahmung“ (Borch und Stäheli
2009: 10). Dies macht Tardes „Theorie der Nachahmung“ äußerst fruchtbar in der
Auseinandersetzung mit der Entstehung, der Anwendung, den Funktionsweisen und
der Verbreitung von Best Practice-Beispielen, denn auch meine Ergebnisse haben
gezeigt, dass es beim Regieren durch Best Practices nur äußerst selten um die syste-
matische Kopie oder Anpassung eines stabilen Modellprojektes oder -prozesses geht,
sondern um die dahinterliegenden, unzähligen Praktiken, die ein Lernen und Über-
tragen auf den eigenen Kontext ermöglichen. Nachahmung artikuliert sich also we-
niger im gezielten Abarbeiten, Kopieren oder Anpassen einer Blaupause oder eines
Handlungsleitfadens, sondern geschieht ständig in den mannigfaltigen Alltagsrouti-
nen, ohne dass sich die Akteure dessen völlig bewusst sind. Wenn man also in Kon-
sequenz jedwede Praktik „als sich wiederholende, als wiederholte und als wiederhol-
bare Formationen“ (Schäfer 2016: 155) begreift – Praktiken also immer als Nachah-
mungen bereits zuvor aus- und aufgeführter Handlungen konzipiert –, bilden Prakti-
ken auch einen sozial verfügbaren Vorrat an möglichen Handlungen, an denen sich
Subjekte orientieren, an die sie anschließen und auf die sie sich beziehen können.
Meine Ausführungen zur „Möglich-Macher-Funktion“ von Best Practices zeigen ge-
nau diese Eigenschaft von guten Praxisbeispielen auf: Best Practices repräsentieren
einen Pool an denkbaren und realisierbaren Maßnahmen und Lösungen in Bezug auf
spezifische Probleme.
„Die wirklichen Ursachen der Veränderung […] bestehen aus einer Kette von allerdings sehr
zahlreichen Ideen, die jedoch verschieden und diskontinuierlich sind, obwohl sie durch noch
viel zahlreichere Nachahmungshandlungen, deren Vorbild sie darstellen, miteinander verbun-
den werden.“ (Tarde [1890] 2009: 26)
13 Nach Tarde ([1890] 2009: 12f.) gibt es zwei Arten der Nachahmung: entweder genau das
Gleiche zu tun, also das Vorbild zu kopieren, oder aber genau das Gegenteil zu tun, was er
als „Gegen-Nachahmung“ bezeichnet.
Kommunen im Klimawandel
Best Practices als Chance zur grünen Transformation?
- Titel
- Kommunen im Klimawandel
- Untertitel
- Best Practices als Chance zur grünen Transformation?
- Autor
- Nanja Nagorny-Koring
- Verlag
- transcript Verlag
- Ort
- Bielefeld
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4627-0
- Abmessungen
- 15.4 x 23.0 cm
- Seiten
- 324
- Kategorien
- Naturwissenschaften Umwelt und Klima
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 9
- Das Prinzip der Nachahmung 11
- Forschungslücke und Fragestellung 16
- Aufbau der Arbeit 21
- Kommunen im Klimawandel 25
- Problematisierung: Vom Phänomen zum Problem 27
- Klimawandel als Politikproblem 32
- Klimawandel als kommunales Aufgabenfeld 38
- Klimapolitik als Multi-Level-Governance-Problem 48
- Die Stadt als Ursache, Betroffene und Lösung für das Klimaproblem 54
- Klimawandel als ökonomisches Problem 61
- Klimawandel als Problem kommunaler Praxis 65
- Den guten Praktiken auf der Spur 71
- Begriffsgeschichte und Definition 73
- Kritik und Positionalität 78
- Best Practice-Forschung 82
- Projektdesign 90
- Die Kunst, den Klimawandel zu regieren 115
- Gouvernementalität 116
- Klima-Gouvernementalität 126
- Das Praxisregime „kommunaler Klimaschutz“ 132
- New Public Climate Management 141
- Politische Rationalitäten 142
- Klima\Wandel ist regierbar 145
- Politische Programme 162
- Die Regierungsrationalität des Klimaschutzmanagements (1): Vom Projekt zum Prinzip 172
- Die Regierungsrationalität des Klimaschutzmanagements (2): Das Rad nicht neu erfinden 179
- Implikationen einer besonderen Form des Klimaschutzes 186
- Best Climate Practices 189
- Rationalitäten und Technologien 191
- „Mit Ideen und Beispielen zum Erfolg“!? 194
- „Gebt uns gute Beispiele!“ 215
- Reflexion 227
- „Best Practice ist eine Geschichte“ 235
- Zur Performativität von Best Practices 239
- Zum transformativen Potenzial von Best Practices 249
- Fazit: „Klimaschutz leicht gemacht – von Erfolgsbeispielen lernen“? 260
- Literatur 275
- Anhang 315