Seite - 14 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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Erneuerungen, » die das Bewußtsein und den Begriff von Epoche
entdeckt hat « und über deren Ende – und Nachfolge – im letz
ten Drittel des 20. Jahrhunderts bislang noch kein Konsens herge
stellt wurde.6 Die Untersuchung moderner Mittelalterbilder gibt
also immer auch Auskunft über Befindlichkeiten der Epoche, in
der sie entstanden sind.
Die Verklärung des Mittelalters zum idealen Zeitalter hat ih
ren Höhepunkt in der Romantik : Mit einer scheinbar intakten,
unerschütterten religiösen Weltsicht und teleologischen Welt
ordnung, vermeintlich unverrückbaren, weil von einem göttli
chen Wesen bestimmten sozialen und politischen Hierarchien
und einem naiven, einfachen Leben im Einklang mit der Natur
konnte die zuvor noch als » dunkel « beschriebene Epoche nun als
stabilisierendes Kontrastbild zu den Verunsicherungen der eige
nen Gegenwart empfunden werden.7 Angesichts des Sturzes, zu
mindest aber der Erschütterung jahrhundertealter politischer
und religiöser Herrschaftsordnungen, sowie der tiefgreifenden
gesellschaftlichen Auswirkungen neuer ökomonischer Produk
tionsformen stand mit dem Mittelalter ein leicht zu erschließen
des Fluchtreich bereit, in dem man geistigen Halt, soziale Ord
nung und nicht zuletzt – gerade in deutschen Landen – zuneh
mend auch die verlorene nationale Größe zu finden glaubte.
Es waren vor allem Burgen und ihre Ruinen, die – von den om
nipräsenten, anders konnotierten Sakralbauten abgesehen – als
bauliche Zeugen aus dieser längst vergangenen Epoche in die Ge
genwart hereinragten und – im Verein mit der Gestalt des » Rit
ters « – rasch zu Chiffren für das Mittelalter schlechthin wurden.
Die ersten modernen Burgen im deutschsprachigen Raum tauch
ten erst kurz vor 1800 auf und hatten Bauten des englischen Go
thic Revival wie den Landsitz Strawberry Hill zum Vorbild. Im
weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts kam es zu einer außeror
dentlich intensiven, unterschiedlich motivierten Wiederbele
bung des Burgenbaus. Der Wiederaufbau von Kreuzenstein mar
kiert in diesem Kontext eine zentrale Stelle : Unter Einbeziehung
zahlreicher originaler Spolien aus mehreren Ländern Europas
sollte hier nämlich nicht etwa ein konkretes historisches Bau
werk repliziert, sondern ein gleichsam ideales Modell der mittel
alterlichen Burg schlechthin rekonstruiert werden.
Der Bauherr von Kreuzenstein war nicht nur einer der popu
lärsten Aristokraten seiner Zeit und bedeutender Kunstsamm
ler, sondern auch Philanthrop und prominenter Förderer von
Kunst und Wissenschaft. Auf der Suche nach einem Standort für
ein neues Mausoleum der ursprünglich in Schlesien beheimate
ten Familie war Hans Graf Wilczek in Leobendorf bei Korneuburg
auf die Ruine der auf das 12. Jahrhundert zurückgehenden Burg
14 Zerlegung einer Zeitmaschine
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Kreuzenstein
- Untertitel
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Autor
- Andreas Nierhaus
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 258