Seite - 50 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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beim Wiederaufbau von Kreuzenstein sollte dem Publikum eine
möglichst authentische, unmittelbare Vorstellung des mittelal
terlichen Deutschordensschlosses geboten werden. » Vergegen
wärtigung der Vergangenheit «133 war das Ziel. Innenräume wur
den mit Nachbildungen mittelalterlicher Möbel und anderen Ge
genständen ausgestattet, so » als wären die einstigen Bewohner
nur eben etwa zu einem Lithauerzuge fortgeritten. «134 Auf zeit
genössischen Fotografien der Burg sind ihre einstigen Bewohner
in Gestalt mittelalterlich gekleideter Staffagefiguren dagegen zu
rückgekehrt, um – wie zur gleichen Zeit in den Fotografien von
Kreuzenstein – die Wirkung der rekonstruierten Räume durch die
Inszenierung als » lebendes Bild « zu verstärken.135
» In der Marienburg «, schrieb Steinbrecht 1896, » verkörpert
sich das Wesen des aus ganz Deutschland hervorgegangenen Or
densstaates, die Geschichte des deutschen Ostens überhaupt. [ … ]
Es ist mit einem Wort ein Schöpfungsbau, und den müssen wir
uns mit allen Mitteln handgreiflich wiederherstellen : nicht bloß
verständlich für den Kenner, sondern anschaulich für das Volk,
damit das Deutschthum auf dem strittigen Boden an der Weichsel
sich seines älteren Heimathrechtes und seiner höheren Cultur
aufgaben bewußt bleibt. «136 Denkmalpflegerische Argumenta
tion und politische Absicht erwiesen sich einmal mehr als de
ckungsgleich : Als der Bauherr der Marienburg, Kaiser Wilhelm II.,
von mittelalterlich kostümierten Ordensrittern umgeben 〚 16 〛,
in einer Rede auf der Burg im Jahr 1902 das Volk » zur Wahrung
seiner nationalen Güter « aufrief und gegen » polnischen Über
mut « wetterte, war die symbolische Bedeutung der Marienburg
im Kontext der imperialistischen Agitation Kaiser Wilhelms II.
festgeschrieben.137
Zeitweise parallel zu den Arbeiten an der Marienburg fand an
der entgegengesetzten Grenze des Deutschen Reiches, im Elsass,
der Wiederaufbau der Hohkönigsburg / Haut Kœnigsbourg statt.
〚 17 〛 Die Ruine war Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1899 von der Ge
meinde Schlettstadt / Selestat geschenkt worden – wohl mit dem
Hintergedanken, dass durch eine vom Kaiser betriebene Restau
rierung nicht zuletzt der lokale Tourismus eine Ankurbelung er
fahren würde.138 Der 1900 unter der Leitung von Bodo Ebhardt
begonnene Wiederaufbau war bereits 1908 abgeschlossen.139 Die
Hohkönigsburg wurde damit zu einem Gradmesser der denk
malpflegerischen Richtlinien Ebhardts und rief dementspre
chend scharfe Kritik hervor. Die umstrittenen, weil in Teilen
jeglicher historischen Quellenbasis entbehrenden Maßnahmen
Ebhardts, ließen Otto Piper in diesen Jahren zu seinem erbitter
ten Gegner werden.140 Über alle denkmalpflegerischen Debatten
hinaus wurde die Hohkönigsburg, ähnlich wie die Marienburg
50 Mittelalterbilder
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Kreuzenstein
- Untertitel
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Autor
- Andreas Nierhaus
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 258