Seite - 128 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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von Kreuzenstein sowohl in der großen Form als auch im De
tail bestimmen : Ein wichtiges Merkmal ist die Zusammenstel
lung von Bauteilen mit unterschiedlichen stereometrischen
Qualitäten. Die Westseite führt dies wohl am konsequentesten
und eindrucksvollsten vor : Nordwestturm, Kapelle, Bergfried
und Torturm sind hier so aufeinander bezogen, dass eine dyna
mische und abwechslungsreiche, sowohl im fotografischen Bild
als auch räumlich äußerst wirksame Komposition entsteht – ein
baukünstlerisches Mittel, das ähnlich auch im Burghof beobach
tet werden kann. Für Klaus Eggert » entsteht der Eindruck eines
vertikalen Verschiebens von Flächen [ … ], manchmal sprunghaft,
schießend. Dieses Verschieben macht die Bezüge der Teile un
ter sich und zum Ganzen mehrdeutig. «391 Camillo Sitte lobt die
» wohltuende Stetigkeit eines nicht gegliederten kräftig wirken
den Quadermauerwerkes, ohne irgend welche Störung durch den
architektonischen Schulkram von Lesenen, Strebepfeilern, Maß
werken, Fialen und dergleichen. Auf dieser ruhigen Mauerfläche
heben sich die günstig vertheilten reicheren Einzelheiten natur
gemäß sehr wirksam ab. «392 Der Kontrast von glattem Mauer
werk und plastisch behandelten Abschnitten ist für die Wirkung
der Architektur ebenso von Bedeutung wie die Gegenüberstel
lung geschlossener Flächen und stark raumhaltiger Öffnungen.
So werden etwa der Söller, die Loggia und der Kaschauer Dom
gang als dreidimensional räumliche und zugleich diaphane Ob
jekte aufgefasst, die Raum bilden und diesen zeigend erschließen.
Diese Öffnungen sind umgekehrt aber auch Aussichtspunkte, die
den Blick als architektonisch räumliches Ereignis inszenieren.
Der Söller bietet einen panoramaartigen Blick über das Wiener
Becken, und von der romanischen Loggia blickt man auf den spät
gotischen Kaschauer Domgang und zurück.393 Wie sehr solche
Blickbezüge die architektonische Komposition Kreuzensteins
bestimmen, wird auch in der zeitgenössischen fotografischen
Interpretation durch Wilhelm Burger sichtbar. 〚 69 〛
An der spannungsreichen Gestaltung des Söllers 〚61 〛 kann das
Prinzip der räumlichen Verschränkung und der Schaffung von
Tiefenraum und Plastizität durch die Verbindung unterschiedli
cher Ebenen gleichsam pars in toto nachvollzogen werden.394 Von
der großen, von freistehenden Säulen getragenen – und dadurch
gegenüber der umgebenden Wandfläche weitgehend verselbst
ständigten – Bogenöffnung deutlich zurückversetzt ist eine sehr
viel kleiner dimensionierte vierachsige Arkadenreihe, hinter der
sich das Dunkel der Halle ausbreitet. Korrespondierend und er
gänzend zu dieser vertikalen Staffelung und Schichtung wird der
Raum auch horizontal stufenweise erschlossen : Vom Niveau der
Halle führt der Weg über mehrere seitliche Stiegen bis hinab zum
128 Eine moderne Burg
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Kreuzenstein
- Untertitel
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Autor
- Andreas Nierhaus
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 258