Seite - 130 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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kompensiert worden – die Dinge, und nicht die Menschen, sind
in ihrer Fülle und Präsenz die eigentlichen Bewohner.
Kreuzenstein wurde von Beginn an auch als Aufbewahrungs
ort für die Sammlungen Wilczeks konzipiert, und bereits 1893 be
fanden sich Teile davon in den fertiggestellten Räumen.399 Durch
die Wahl der Burg als Aufstellungsort erhielten die Gegenstände
eine über ihren Wert als Einzelobjekte hinausgehende Bedeu
tung : Gemälde, Zeichnungen und Drucke, Skulpturen, Möbel
und Glasgemälde, Bücher, Kunstgewerbe und nicht zuletzt um
fangreiche Bestände an historischem Hausrat sollten dazu dienen,
eine Burg des Mittelalters mit aller gebotenen Vollständigkeit, ja
Überfülle auszustatten.
Die Sammlungen Wilczeks sind bis heute fester Bestandteil
der Inszenierung von Kreuzenstein als mittelalterliche Burg ; ihre
Objekte gewährleisten – wie die in die Architektur integrierten
Spolien – die Authentizität des Gezeigten und bürgen in ihrer ge
ballten Präsenz für eine Dominanz historischer Materialität ge
genüber den neu geschaffenen Bauteilen und Innenräumen. Erst
durch das Arrangement der überreichen Sammlungen, die in die
ser Form auf keiner Burg des Mittelalters anzutreffen gewesen
wären, wirkt Kreuzenstein wie der erst kürzlich von seinen Prot
agonisten verlassene Schauplatz eines historischen Romans. Die
ser Schauplatz sei im Folgenden näher inspiziert.
Die Kapelle, für Camillo Sitte das künstlerische » Centrum des
Ganzen «400, ist in Architektur und Ausstattung der mit Abstand
prominenteste Raum der Burg, » von so eigenartiger Erfindung
und Durchführung, dass man es nicht empfindet, hier einem
Werke neuester Zeit gegenüber zu stehen. «401 Der klar struktu
rierte Kernbereich des Kapellenraumes besteht aus einem ein
schiffigen, einjochigen Langhaus und einem Chorpolygon mit
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Schluss. 〚 72 〛 Im Bereich der Apsis fand man beim Wiederauf
bau – im Gegensatz zum Langhaus – Anhaltspunkte für eine Re
konstruktion des ursprünglichen Zustandes der mittelalterlichen
Burgkapelle 〚 39 – 41 〛 : Der untere Wandbereich des Polygons sowie
zwei Strebepfeiler waren erhalten geblieben, woraus auch auf die
ursprünglichen Abmessungen der Fensteröffnungen geschlossen
werden konnte. Wie in anderen Bereichen der Burg wurde auch
beim Chor der Kapelle direkt auf den überkommenen Ruinen
bestand aufgebaut und dieser sichtbar in den Neubau integriert.
Dem spätgotischen Chor antworten die früh und hochgotischen
Formen des Langhauses mit seiner reichen Bauplastik. Im Ver
gleich zum Chor ist das Langhaus, für das keine Vorgaben im auf
gehenden Mauerwerk berücksichtigt werden mussten, aufwän
dig gegliedert : Gebündelte Runddienste mit Knospenkapitellen
130 Eine moderne Burg
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Kreuzenstein
- Untertitel
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Autor
- Andreas Nierhaus
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 258