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Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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Wandschichten und Raumebenen zu einem forciert raumhalti­ gen architektonischen Aufbau : Der dreieckigen Grundform des Turmes ist der sechseckige Raum derart eingeschrieben, dass die­ ser an jeder zweiten Seite durch im Grundriss trapezförmige An­ räume erweitert wird, die sich am Außenbau aber nur durch die Fensteröffnungen abzeichnen. Dreiviertelsäulen mit Knospen­ kapitellen tragen die Rippen des steinernen Gewölbes, dessen Felder mit plastischem Rankenwerk – nach einem mittlerweile zerstörten mittelalterlichen Vorbild aus Friesach – gefüllt sind.451 Die Schildrippen wiederum werden von kleinen Dreiviertelsäu­ len getragen, die auf der Höhe der Deckplatte der größeren Säulen ansetzen, und ebenfalls Knospenkapitelle besitzen. In eine der beiden fensterlosen Wände ist die Eingangstüre eingeschnitten, die zweite trägt einen plastisch dekorierten Kaminmantel. Ein erhöhter Erkerplatz, von dem sich die Aussicht auf Klosterneu­ burg und Wien bietet, ragt zugleich als Kanzel in den Raum. Die ursprüngliche Einrichtung des als intimes Interieur eines Samm­ lers inszenierten Raumes bestand aus einer zentralen Sitzgruppe mit Diwan und Teppichen ; in die Fenster waren zum Teil mittelal­ terliche Glasgemälde eingesetzt, Regale an den Wänden dienten der Aufbewahrung von Waffen und europäischem, arabischem, asiatischem und präkolumbischem Kunsthandwerk,452 von der Decke hing ein gotischer Luster und über der Eingangstüre war Viktor Stauffers Porträt des deutschen Kaisers Wilhelm II. ange­ bracht, ein unübersehbares Zeichen von Wilczeks Wertschätzung für den Monarchen.453 Die Herrenstube zeigt, in welchem Ausmaß hier lange tra­ dierte und etablierte frühneuzeitliche Wohnvorstellungen in die rekonstruierte mittelalterliche Lebenswelt rückprojiziert wur­ den : Als intimer Rückzugsort des gelehrten Hausherrn, der sich dort mit erlesenen Objekten umgibt – oder vorgibt, dies zu tun –, steht die Herrenstube in der Tradition des Studiolos der italieni­ schen Renaissance.454 Zugleich erinnert das Vorhandensein eines geschlechtsspezifisch kodierten Raumes aber auch an jene » Her­ renzimmer «, die fixer Bestandteil der bürgerlichen Wohnung des 19. Jahrhunderts waren. Der modische Diwan in der Raummitte, in der Wohnung des Historismus ein unverzichtbares Requisit ori­ entalischer, exotischer Phantasien, zeigt nachdrücklich, dass hier der Anspruch auf Rekonstruktion einer fiktiven Vergangenheit in Kontakt bzw. Konflikt mit ausgesprochen gegenwärtigen Vor­ stellungen von wohnlichem Komfort und der angemessenen Aus­ staffierung der unmittelbaren Lebensumgebung geriet. Über die Persönlichkeit Wilczeks verrät allerdings auch dieser privateste Raum der Burg so gut wie nichts ; seine Privatheit wirkt wie für den Fotografen arrangiert. 151Interieurs
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Kreuzenstein Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Kreuzenstein
Untertitel
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Autor
Andreas Nierhaus
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2014
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-79557-5
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
258

Inhaltsverzeichnis

  1. Zerlegung einer Zeitmaschine 9
  2. 1 Mittelalterbilder 21
    1. Ritter – Burg 24
    2. Modernisierungen 41
    3. Die Burg im Garten 43
    4. Die Burg als Monument 48
    5. Die Burg als Zeitvertreib 56
    6. Die Burg am Ende 62
  3. 2 Eine moderne Burg 65
    1. Der Sammler 67
    2. Bauherr und Bauhütte 78
    3. Wiederaufbau 86
    4. Außenansichten 111
    5. Interieurs 129
    6. Der imaginäre Bewohner 166
    7. Frühe Besucher 171
  4. 3 Herrschaft der Dinge 173
    1. Fragmentierung und Rekonstruktion 175
    2. Objet ancien und Objet trouvé 177
    3. Alter und Authentizität 180
    4. Zerstreuung und Sammlung 183
    5. Moderne Spolien 187
  5. 4 Mediale Korrespondenzen 195
    1. Fotografie 197
    2. Heterotopie, Themenpark 201
    3. Tableau vivant, Panorama, Historienbild 205
    4. Film 211
    5. Zusammenfassung 220
    6. Anmerkungen 224
    7. Literatur 238
    8. Abbildungsnachweis 248
    9. Register 249
    10. Dank 256
    11. Inhalt
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