Seite - 200 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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Präzision davon, wie viel Zeit Burger fĂĽr die Aufnahmen zur VerÂ
fĂĽgung stand. Burger fotografierte Kreuzenstein kaum anders
als jene archäologischen FundstĂĽcke, die er auf seinen zahlreiÂ
chen Grabungsreisen aufnahm, mit dem Unterschied, dass dort
das Fragmentarische dominiert, während hier die Vielzahl, ja die
Summe der Fragmente und Dinge und ihr Zueinander durch die
Fotografie vermittelt werden.
Die Interieurs sind stets » aufgeräumt «, nur in AusnahmefälÂ
len 〚 89, 100 〛 deuten auf dem Tisch liegen gelassene Bücher und
zur Seite gerĂĽckte Sessel auf die Bewohner dieser Räume hin. ZuÂ
meist sind Burgers Fotografien menschenleer, mitunter aber wurÂ
den die Schauplätze durch Staffagefiguren bereichert, die durch
ihre » mittelalterliche « Kleidung den Eindruck eines Tableau viÂ
vant zusätzlich verstärken.602 Diese Gestalten bewachen das
Burgtor 〚 60 〛, lehnen lässig an der Wand 〚 70 〛, sind mit Arbeiten
zugange 〚 67 〛 oder füllen den leeren Hofraum aus. 〚 66 〛 Solcherart
belebt, wird das Paradoxon eines technisch modernen BilddokuÂ
ments aus dem Mittelalter perfekt. Diese Inszenierung blieb alÂ
lerdings auf Außenräume beschränkt ; in den Interieurs, die sich
durch ihre reiche Ausstattung besonders dafür geeignet hätten,
wurde die stille Präsenz der Dinge nicht durch menschliche AnÂ
wesenheit gestört.
Beim Betrachten der Fotografien stellt sich insgesamt der EinÂ
druck ein, dass es sich bei Kreuzenstein um einen Bau handle, der
bereits im Entwurfsstadium mit seiner fotografischen Aufnahme
gerechnet habe. Es ist eine durch ihren Reichtum an plastischen
Akzenten zutiefst fotogene Architektur, die sich gerade auch in
der zweidimensionalen Projektion der Fotografie besonders wirÂ
kungsvoll entfaltet. Dieser Beobachtung mĂĽsste eine eingehenÂ
dere Untersuchung zum Verhältnis von Fotografie und ArchitekÂ
tur im Historismus folgen.603 Hier sei lediglich die Beobachtung
ausgesprochen, dass die Eignung dieser Architektur zur fotograÂ
fischen Wiedergabe auf das Engste mit den damals neuen fotograÂ
fischen Reproduktionsmöglichkeiten in Zusammenhang steht,
wie sie nicht zuletzt in Fachzeitschriften Verwendung fanden :
Neubauten wie vorbildhafte historische Gebäude wurden in dieÂ
sen Medien spätestens seit den 1880 er Jahren vorwiegend in
Form fotografischer Bilder ( und nicht mehr als Zeichnungen ) verÂ
öffentlicht. Neue Architektur wurde damit zunehmend auf der
Basis von Fotografien entworfen, was nicht ohne Auswirkungen
auf die Baugestalt bleiben konnte.604 Fotografien waren also eine
wichtige Quelle für jene auffällige Betonung plastisch haptischer
Elemente, die die Architektur des Späthistorismus mit ihrem starÂ
ken Oberflächenrelief kennzeichnet – und ihrerseits die Wirkung
der Architektur im fotografischen Bild verstärkte.605
200 Mediale Korrespondenzen
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Kreuzenstein
- Untertitel
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Autor
- Andreas Nierhaus
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 258