Seite - 207 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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Verkörperung historischer Gestalten durch Vertreter der Aristo
kratie – und damit letztlich die Herstellung geschichtlicher Konti
nuität durch Kostümierung – war Wilczek dabei ein zentrales An
liegen.636 Ludwig Hevesi schrieb mit respektvoller Ironie : » So hat
denn patriotischer Eifer mit allem Aufwande von Altertumskunst
und Altertumslust eine Art idealer Rekonstruktion, Wiederher
stellung von achtzehn verschiedenen Vergangenheiten Habs
burgs, Wiens, Österreichs zustande gebracht. Die gediegene Pri
vatliebhaberei von berühmten Sammlern, von militärisch veran
lagten Künstlern und Kunstliebhabern hat das ihre getan, um aus
ungezählten, geschichtlichen Reminiszenzen, kulturgeschicht
lichen Analekten, familienhaften oder musealen Reliquien, tech
nischen Merkwürdigkeiten, heraldischen Pointen nicht sowohl
eine ungeheure Wandeldekoration, als eine unabsehbare Wandel
staffage für die Wiener Stadtlandschaft zusammenzustellen. «637
Die deklarierte Ausrichtung auf ein großes, ja massenhaftes Pub
likum und das räumliche Umfassen – und damit Zentrieren – des
Besuchers und Betrachters rücken Kreuzenstein in die Nähe ei
ner weiteren populären Unterhaltung, die zu einem Symbol für
das 19. Jahrhundert wurde – das Panorama.638 Dolf Sternberger
hat darauf hingewiesen, dass es, wie in den Lebenden Bildern
so auch in den Panoramen, mit ihren zum gemalten Rundhori
zont vermittelnden dreidimensionalen faux terrains, nicht um
tatsächliche Augentäuschung ging, sondern um die Befriedigung
der Schaulust durch einen selbstständig gewordenen Illusionis
mus.639 Die Panoramen sieht Sternberger – und Gleiches ließe
sich von Ensembles wie Kreuzenstein behaupten – » ganz außer
halb der neueren Kunstgeschichte, wenn sie auch da und dort
fremd und irritierend hereinspuken. Es ist nichts anderes als eine
schwarze Kunst oder Alchimie [ … ] eine neue, andere, eben von
Menschen hergestellte Natur. Freilich ein Blendwerk von Natur,
da denn hier jedermann, der fleißige Hersteller wie die bewun
dernden Betrachter, von Anfang an sich bewußt ist und auch da
rin einwilligt, getäuscht zu werden. «640
Wie das Panorama den Blick des Betrachters nach allen Sei
ten hin umfängt, ja einfängt, und zugleich dessen zentralen
Standpunkt, und damit sein Verhältnis zum Gesehenen, durch
einen einfachen räumlichen Trick unsicher und fragwürdig wer
den lässt, so umfängt auch Kreuzenstein seine Besucher als abge
schlossene Einheit in einem Vergangenheits
Panorama : » Der Pa
noramabesucher steht dem Bild nicht gegenüber, sondern ist ihm
von allen Seiten ausgesetzt. [ … ] Der Betrachter wird ins Bild ge
zogen, wird selbst Bestandteil des Bildes. «641 Besonders anschau
lich ist hier der Vergleich mit dem 1888 in München erstmals
207Tableau
vivant, Panorama, Historienbild
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Kreuzenstein
- Untertitel
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Autor
- Andreas Nierhaus
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 258