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90 | Die Entwicklung des Kirchenmobiliars
Zur Geschichte der Beichtstühle
Schuldbekenntnis, Beichte und öffentliche Buße
In den ersten nachchristlichen Jahrhunderten war der Beichtritus noch nicht standardi-
siert, was in der fachspezifischen Literatur zu widersprüchlichen Angaben über Buße und
Beichte im frühen Christentum führte. Allerdings scheint unbestritten, dass die Mönchs-
beichte bereits im vierten Jahrhundert in der Ostkirche praktiziert wurde.201 Nachdem
der hl. Benedikt (um 480–547) Ordensangehörige zur Offenbarung »böser Gedanken«
verpflichtet hatte, wurde die Beichte auch im Westen unter den Klerikergemeinschaften
üblich und in der Folge ebenfalls von Laien ausgeübt.202 Schwere Straftaten mussten
gebeichtet werden, dagegen war die Beichte kleinerer Fehltritte lange Zeit freiwillig, die
Kirche fordert sie erst seit dem Ende des 8. Jahrhunderts. Außer in besonders schwer-
wiegenden Fällen akzeptierte sie sowohl individuelle Ohrenbeichten als auch allgemeine
öffentliche Sündenbekenntnisse ohne das Eingeständnis einzelner Sünden.203
Bei der Ohrenbeichte saß der Pönitent zunächst neben dem Priester, später kniete
er. Eine um 1470 in Brügge entstandene Miniatur, die ein zeitliches Nebeneinander
von Predigt und Beichte im Innenraum einer Kirche wiedergibt, lässt erkennen, dass
sich der Stuhl des Beichtvaters kaum von profanen Sitzmöbeln unterschied.204 Der
Stuhlrahmen bestand aus schlichten Vierkanthölzern, nur die Verbindungsstege an
Armlehnen und Fußgestell waren geschweift und mit Schnitzarbeiten verziert. Das an
einem beliebigen Platz in der Kirche positionierte Möbel konnte nach Abschluss der
Beichte leicht wieder entfernt werden. Bei der Spendung des Sakraments kniete der
Beichtende vor dem Geistlichen auf dem harten Steinboden.205
Entstehung, Großformen und Möglichkeiten der Ausgestaltung
Für ein so spezielles Ausstattungsstück wie den Beichtstuhl gab es folglich bis weit
in die Frühneuzeit hinein noch keinen wirklichen Bedarf.206 Ändern sollte sich das
201 Tauch, Beichtstuhl (1969), 9.
202 Tauch, ebd., 9 ; RGG, Bd. 1 (1998), Sp. 1221.
203 Bereits im 11. Jahrhundert wurde beanstandet, dass die Priester bei Gottesdiensten häufig Generalabsoluti-
onen erteilten. Schlombs, Entwicklung (1965), 68, 138–139. Zur Thematik auch Meulen, Beichtstuhl (2009).
204 München, Bayerische Staatsbibliothek, Cod. Gall. 28. Brügge, La doctrine du disciple de Sapience, um
1470, Umkreis des Willem Vrelant (nachw. um 1454–um1481). Bildarchiv Foto Marburg : http://www.
bildindex.de unter dem Stichwort »Willem Vrelant Beichte«.
205 Zu einer vergleichbaren Abbildung RDK, Bd. 2 (1948), Sp. 185–186, Abb. 1, mit einer Darstellung
von Beichte und Kommunion im Turin-Mailänder Stundenbuch.
206 Dennoch existierten feststehende Beichtstühle offenbar bereits im 14.
Jahrhundert vereinzelt in Italien.
TRE, Bd. 5 (1980), 418.
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Band I: Östliche Landsteile
- Titel
- Sakralmöbel aus Österreich
- Untertitel
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Band
- I: Östliche Landsteile
- Autor
- Michael Bohr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20512-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 730
- Schlagwörter
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Zur Barockisierung von Weltkirchen und Klöstern 31
- Tischlerwerkstätten in Wien 33
- Tischlerwerkstätten auf dem Land 36
- Zur Größe der Werkstätten 40
- Zur Zusammenarbeit von Tischlern mit andern Handwerkern 41
- Zur Beschaffung des benötigten Holzes 43
- Zur Qualität des Holzes und zum System der Vergütung von Tischlern 43
- Nachlassende Qualität der Tischlererzeugnisse im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert 46
- Zu den verwendeten Materialien 48
- Zur Oberflächenveredelung und Restaurierung 51
- Exkurs : Technische Innovationen als Grundlage der Entwicklung neuer Gestaltungsformen 55
- II. Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente 58
- III. Die Entwicklung des Kirchenmobiliars 81
- IV. Sakristeien 101
- Ihre Lage innerhalb des Raumgefüges 101
- Der Klosterplan von St. Gallen und frühe Sakristeimöbel 102
- Zur Funktion von Sakristeien, barocke Sakristeieinrichtungen und die Schriften von Carlo Borromeo und Jacob Müller 104
- Altäre und Scheinaltäre 104
- Lavabos 106
- Sakristeischränke und Ankleidekredenzen 107
- Zur Entwicklungsgeschichte der Sakristeischränke 110
- Ankleidetische und Tischkästen 111
- Truhen und Truhenbänke 113
- Beichtstühle 115
- Betpulte, Kniebänke und Bankpulte 116
- V. Mobiliar in Nebenräumen von Kirchen und Klöstern 118
- VI.Zur Hierarchie von Räumen und Möbeln 127
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 133
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 133
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 133
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 134
- I. Sakralbauten in Wien 135
- II. Sakralbauten in Niederösterreich 247
- Altenburg, Benediktinerstift 247
- Ardagger, Pfarrkirche hl. Margarete 260
- Dürnstein, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 264
- Geras, Prämonstratenser-Chorherrenstift 283
- Göttweig, Benediktinerstift 294
- Heiligenkreuz, Zisterzienserstift 315
- Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift 335
- Horn, Piaristenkirche 347
- Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift 352
- Krems, Piaristenkirche 367
- Krems, Pfarrkirche St. Veit 380
- Lilienfeld, Zisterzienserstift 386
- Melk, Benediktinerstift 408
- St. Marein, Pfarrkirche hl. Maria 434
- St. Pölten, Dom- und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 436
- Seitenstetten, Benediktinerstift 452
- Wiener Neustadt, Zisterzienserstift Neukloster 466
- Zwettl, Zisterzienserstift 477
- III. Sakralbauten in Oberösterreich 500
- Baumgartenberg, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 500
- Kremsmünster, Benediktinerstift 512
- Lambach, Benediktinerstift 534
- Linz, Jesuitenkirche (Alter Dom) 551
- Linz, Karmelitenkloster 566
- Linz, Seminarkirche Hl. Kreuz 572
- St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift 580
- Schlägl, Prämonstratenser-Chorherrenstift 607
- Schlierbach, Zisterzienserstift 621
- Waldhausen, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 631
- Wilhering, Zisterzienserstift 638
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse –
- Literatur
- Zusammenfassung und Ausblick 659
- Zum Aufbau des Buchs 659
- Historischer Abriss 660
- Entwicklungsgeschichte der Kirchenmöbel 661
- Zur Einrichtung verschiedener Räume in Kirchen und Klöstern 662
- Zur Hierarchie sakraler Einrichtungen 663
- Die Auftraggeber und ihr Einfluss auf die Kunstentwicklung 663
- Zum Verhältnis zwischen Auftraggebern, Architekten und Handwerkern 665
- Zu den Tischlern 665
- Stilistische Entwicklung der Möbel 666
- Regionale Besonderheiten 667
- Fazit und Ausblick 668
- Glossar 670
- Ortsindex 678
- Künstlerverzeichnis 682
- Abkürzungsverzeichnis 688
- Abbildungsnachweis 692
- Literaturverzeichnis 693