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49Zwischenresümee
untrüglichste Palladium gegen einen allgemeinen Schwindel, gegen
jede revoluzionäre Einheit liege.81
Hormayr und seine Mitarbeiter setzten der einförmigen und unteil-
baren, aus der Revolution geborenen französischen Nation die plural
verfasste habsburgische Monarchie entgegen, die eine Art Erblandena-
tion bildete. Bürgerliche Patrioten aller habsburgischen Länder sollten
gemeinsam die gewaltsame Vereinheitlichung von oben, durch den
josephinischen – oder franziszeischen – Absolutismus vereiteln. Da-
mit war der konzeptuelle Grundstock für das liberale Weltbürgertum
der Völkerfreundschaft geschaffen, das sich in den 1830er und 1840er
Jahren voll entfaltete. Im nächsten Schritt soll gezeigt werden, unter
welchen Prämissen dieses liberale Ideal der Bruderschaft der Nationen
artikuliert wurde. Zuvor gilt es aber, die bisherigen Ergebnisse des
Kapitels zusammenzufassen.
4. Zwischenresümee
Auf welches identitätsstiftende Realsubstrat sollte sich der Patrio-
tismus in den habsburgischen Ländern beziehen?
Die staatsbürgerliche Pflichtethik bildete den Eckpfeiler von Joseph
von Sonnenfels’ Patriotismus-Definition: Der Genuss gerechter Ge-
81 Joseph von Hormayr an Bartholomäus Kopitar, Raitz / Brünn, 7. 10. 1821, zit.
n. Sergio Bonazza, Die Beziehungen zwischen Joseph Freiherr von Hormayr
und Bartholomäus Kopitar und die Anfänge der Slavistik in Österreich, in:
DS 57 (1983), 203-217, 214. Maria Theresia gilt Hormayr als Gegenpol: »Wie
niemand vor ihr, empfand die große Theresia, es gäbe kein innigeres Bin-
dungsmittel zwischen Dynastie und Volk, als eine recht nationale Geschichte
und die Verherrlichung des Herrscherstamms und des um ihn errungenen
Verdienstes durch die Kunst! […] Niemand vor Ihr verstand es besser, jedem
ihrer zahlreichen Völker seine individuelle Entwicklung belassend, dennoch
alle mit fester Hand, zum gemeinsamen Staatszwecke zu leiten und über den
verschiedenen provinziellen Nationalitäten, die große und allgemeine Nati-
onalität Österreichs, den leitenden und bindenden Geist der Dynastie keinen
Augenblick außer Acht zu lassen.« [Hormayr?,] Blicke auf die Nationalität
der Kunst, 171. Vgl. Ivo Cerman, Tereziánská legenda. Vývoj obrazu Ma-
rie Terezie v historických životopisech [Theresianische Legende. Die Ent-
wicklung des Maria-Theresia-Bildes in historischen Biografien], in: Václav
Bůžek, Pavel Král (Hg.), Společnost v zemích habsburské monarchie a její
obraz v pramenech (1526-1740), České Budějovice 2006, 149-166, 160-161;
Júlia Papp, Reflexionen zur Ikonografie von Maria Theresia – im Spiegel der
Wiener Biografiesammlungen um 1810, in: WG 65 (2010), 91-104.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513