Seite - 471 - in Aufklärung habsburgisch - Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
Bild der Seite - 471 -
Text der Seite - 471 -
471Josephiner
versus Romantiker
Kübeck bedauerte, dass Joseph seine Reformvorhaben nicht zu Ende
führen konnte; die Vollendung der Reformen sah er als sichersten
Schutzwall gegen die Revolution, für die selbstverständlich die Auf-
klärung nicht verantwortlich zu machen sei.
3. Josephiner versus Romantiker
Die josephinische Deutung von Aufklärung und Revolution, wie sie
Sonnenfels und Carl Kübeck vertraten, blieb in den ersten beiden Jahr-
zehnten des 19. Jahrhunderts intakt. Was den Josephinern abhanden-
kam, waren ihre vertrauten Gegner. Die langgedienten Gegenrevoluti-
onäre der 1790er Jahre verstummten, sie zogen sich aufs Altenteil, auf
ihre Landsitze und Einsiedeleien zurück: Leopold Alois Hoffmann
widmete sich in Wiener Neustadt der Gartenkunst und schrieb an
einem Lehrbuch einer christlich-aufgeklärte Lebensweisheit für alle
Stände, seine ehemaligen Mitherausgeber, Zuträger und Kolporteure
beschränkten sich auf die Ausübung ihrer engeren Berufspflichten,
etwa in der Hofbibliothek und an der Zensurhofstelle, die Broschüren-
und Zeitschriftenproduktion versiegte.57 Ein neuer Gegner erwuchs
den Josephinern indes in Gestalt der Romantiker, die während der
Napoleonischen Kriege nach Wien kamen. Die alten Gegenrevolutio-
näre hatten mit den Josephinern Bildungshintergrund und Geschmack
geteilt, beide waren klassizistisch und empfindsam orientiert, hatten
im selben Milieu der Salons und Maurerlogen verkehrt. Josephiner
und Romantiker hingegen unterschieden sich sowohl, was ihre poli-
tische Einstellung betraf, als auch im Hinblick auf ihre ästhetische
Orientierung.
Eben dies machten sich die Josephiner zunutze: So gelang es den
josephinischen Beamten und Literaten, den Vorwurf kryptorevolutio-
närer Gesinnungen, der seit den 1790er Jahren gegen sie selbst erhoben
worden war, elegant an die Romantiker weiterzureichen, die schließ-
lich allerlei auf dem Kerbholz hatten. Dabei führten die Josephiner
stringent die Schwärmerei-Topik der Spätaufklärung fort,58 ihnen gal-
muß den Willen in’s Werk setzen, und unbeschränkte Fürsten müssen ihre
Macht so gebrauchen, als ob eine bindende Constitution ihnen dabey die
nicht zu überschreitende Linie vorzeichnet; sie mögen nun diese Linie in der
heiligen Christenreligion, oder in einem philosophischen Anti-Machiavell
finden.« Pratobevera, Ein österreichischer Jurist im Vormärz, 138.
57 Bodi, Tauwetter in Wien, 427.
58 Norbert Hinske, Die Aufklärer und die Schwärmer. Sinn und Funktion einer
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513