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361Die
Politik des Metapolitischen
das aufgeklärte Naturrecht postrevolutionär als allgemeines, politisch
neutrales Recht zu adaptieren und so in der Restaurationszeit die Vor-
aussetzungen für eine liberale Gesellschaftsordnung zu schaffen. 1802
stellte die Studienhofkommission Zeillers Natürlichem Privatrecht ein
vorzügliches Zeugnis aus: Das Gutachten, das Sonnenfels’ Schwager,
der Bildungsreformer Johann Melchior von Birkenstock, verfasst hatte,
bescheinigte Zeiller, »verbreitete bedenkliche Grundsätze« widerlegt
zu haben. Zudem trage Zeiller ältere »Sätze, welche in den damaligen
Zeiten« – also vor der Französischen Revolution – »nicht das mindeste
Bedenken erregten« angesichts der aus ihnen »zum Theil hergefloße-
nen trauervollen Weltbegebenheiten« mit »erforderlicher Vorsicht und
Beschränkung« vor.94
3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers
Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht«
Seitdem Maria Theresia im Jahr 1753 den Auftrag zur Ausarbeitung
eines habsburgischen Privatrechtskodex erteilt hatte, blieb die Gesetz-
gebungskommission ein Spielfeld für das Tauziehen verschiedener Ju-
ristenfraktionen, die um den Vorrang und die Geltungskraft der von
ihnen bewirtschafteten Normportfolios rangen. Dass die Kodifikati-
onstätigkeit ausuferte und schließlich über sechzig Jahre hin die Ar-
beitskraft mehrerer Generationen verschlang, erwies sich für die staats-
gestaltende Juristenzunft als Glücksfall: Während zwischen 1753 und
1811 drei Monarchen das Zeitliche segneten, blieb die Jurisprudenz
ewig jung. Sie verfeinerte und versäulte sich zu einem Wissensregime
der Fachkundigen mit eigenen Instanzen der Rekrutierung und Pres-
tigestiftung, das sich bei der Kodifikation nicht mehr ins Handwerk
pfuschen ließ.95 So ging von der Gesetzgebungsarbeit der entschei-
94 Bericht v. Johann Melchior von Birkenstock, AVA, Studienhofkommission,
Nr. 25.360 /1802, 265 ex Juni 1802, vgl. Gerhard Oberkofler, Die Verteidi-
gung der Lehrbücher von Karl Anton von Martini (1726-1800) und Franz
von Zeiller (1751-1828). Eine Studie über das österreichische Juristenmilieu
im Vormärz, in: ders., Studien zur Geschichte der österreichischen Rechts-
wissenschaft, Frankfurt a. M. 1984, 9-78, 13; als »braver Mann« war Zeiller
designiertes Mitglied einer antirevolutionären Lesegesellschaft, die als Tarn-
organisation für einen Geheimclub zur Unterstützung der Konsolidierungs-
politik Leopolds II. fungieren sollte, vgl. Wilhelm Brauneder, Leseverein
und Rechtskultur. Der juridisch-politische Leseverein zu Wien 1840 bis
1990, Wien 1992, 16.
95 Zur Geschichte des Fachs und der politisch-sozialen Funktion der Juristen
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513