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476 Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr
chische Ordnung und die Religion.73 Nach der Französischen Revolu-
tion verband sich dieses Argumentationsmodell in einer folgenschwe-
ren Koppelung mit dem Paradigma der Diffusion der Aufklärung, die
von Frankreich ausging. So verlagerte man den Ausgangspunkt der
Verschwörung und lokalisierte ihn in der Geschichte Frankreichs.
Aus der Perspektive der vormärzlichen Restauration stellte sich dem-
nach die Bedrohung durch Aufklärer und Revolutionäre idealtypisch
wie folgt dar: im 18. Jahrhundert hatte sich die Aufklärung zunächst
durch geheim zirkulierende Manuskripte, danach, unter Joseph II.,
zum Nachteil der monarchischen Ordnung und des wahren Glaubens
auch mit staatlicher Duldung ausgebreitet. Seit den 1790er Jahren nun
sickerte die revolutionäre Gesinnung wieder über geheime Kanäle
ein. Dieses Bild ergibt sich aus den Akten und offiziellen Beschlüssen
zur Verfolgung der Umtriebe von »Wühlern«, die rhetorisch in der
Tradition des josephinischen Freimaurerpatents stehen, das 1785 die
Anzahl der Logen in der Monarchie beschränkt sowie Logenleben und
Mitgliederlisten polizeilicher Kontrolle unterworfen hatte.74
4. Der innere Feind. Zur Metaphern-
und Sozialgeschichte der Restauration
Es lohnt, das politische Kernproblem der Restauration noch etwas
ausführlicher aus einer ergänzenden Perspektive zu diskutieren, die
Metaphern- und Sozialgeschichte verbindet. Im folgenden Abschnitt
arbeite ich die Labilität des Gebildes »Restauration« heraus, indem
ich das restaurative Selbstverständnis eines von Aufklärung und Revo-
lution abgeschirmten Innenraumes hinterfrage. Die Zerbrechlichkeit
73 Lorenz, Volksbewaffnung und Staatsidee in Österreich (1792-1797), 43;
Marian Füssel, Societas Jesu und Illuminatenorden. Strukturelle Homologien
und historische Aneignungen, in: ZfiF 10 (2003), 11-63.
74 1785 hatte Joseph II. die Freimaurerlogen der staatlichen Kuratel unter-
worfen und eine zentrale Landesloge geschaffen, 1793 stellten die Logen
ihre Tätigkeit unter Druck ruhend, 1795 folgte die Auflösung, vgl. Helmut
Reinalter, Die Freimaurer, 6. Aufl., München 2010, 22. Eidesstattliche Er-
klärungen, keiner geheimen Vereinigung anzugehören, wurden allen Staats-
beamten abverlangt, Michael Chvojka, Josef Graf Sedlnitzky als Präsident
der Polizei- und Zensurhofstelle in Wien (1817-1848). Ein Beitrag zur Ge-
schichte der Staatspolizei in der Habsburgermonarchie, Frankfurt
a. M., Ber-
lin u. a. 2010, 44, 68, 113; Heinrich von Srbik, Metternich. Der Staatsmann
und der Mensch, 2 Bde., München 1925, Bd. I, 475, 654.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513