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76 Die katholische Aufklärung
tik, noch darf man sich von der Zäsurideologie der Aufklärer, die mit
großer Geste als Neuerer auftraten, blenden lassen. Sie kaschiert die
begrifflichen, methodischen und personellen Kontinuitäten zwischen
der alten und der neuen Wissenskultur (5). Im nächsten Abschnitt wird
das Methodentableau der katholischen Aufklärer umrissen, hier geht
es um Methodensets, die mehrere Wissenszweige überspannten (6),
während der sechste Teil die Relevanz eines dieser feldübergreifen-
den Ensembles, des Newtonianismus, für die katholische Aufklärung
herausarbeitet (7): Die katholischen Gelehrten, die sich dem New-
tonianismus verschrieben, priesen das intelligent design des weisen
Schöpfergottes, lösten aber die Erforschung des Weltgesetzes, das im
Universum wirkte, von seinen Ursprüngen und Zweckursachen. So
wurde die Gotteserkenntnis von der Voraussetzung für die Welter-
kenntnis zum Spezialproblem der theologischen Wissenschaften. Der
Aufklärung im religiösen Bereich begegneten viele dieser katholischen
Newtonianer mit Skepsis, dennoch führten sie mit ihren Forschungen
eine Säkularisierung der Welterkenntnis herbei und legten damit den
Grundstein für die liberale Naturwissenschaft des Vormärz.
3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit,
Kunst und Lebenspraxis
Wie verhielt es sich mit der »katholischen Aufklärung«18 in der Ära
der theresianischen Reformen? Von »Aufklärung« war retrospektiv,
in den Almanachen, Chroniken und Periodika gelehrter Gesellschaf-
ten der 1770er und 1780er Jahre gerne die Rede, Gründerfiguren wur-
den mit diesem Ehrentitel ausgezeichnet.19 Wenn man aber die Vor-
aussetzungen und Grenzen der katholischen Reform überprüfen und
18 Vgl. Fillafer u. Mitarb. v. Wallnig, Einleitung, 18-20; András Forgó, Katolikus
felvilágosodás és politikai reformmozgalom [Katholische Aufklärung und die
politische Reformbewegung], in: István Szijártó , Zoltán Gábor Szűcs (Hg.),
Politikai elit és politikai kultúra a 18. század végi Magyarországon. Budapest
2012, 120-146; Robert J. W. Evans, Über die Ursprünge der Aufklärung in
den habsburgischen Ländern, in: DaJuÖ 2 (1985), 9-31; Elisabeth Kovács
(Hg.), Katholische Aufklärung und Josephinismus, Wien 1979; Richard van
Dülmen, Phasen der Aufklärung im katholischen Bayern, in: ders., Religion
und Gesellschaft. Beiträge zu einer Religionsgeschichte der Neuzeit, Frank-
furt a. M. 1989, 124-140. Zuletzt kompakt Ulrich L. Lehner, The Catholic
Enlightenment. The Forgotten History of a Global Movement, Oxford 2016.
19 Walter Schamschula, Der tschechische Anteil an der »Österreichischen Bie-
dermannschronik«, in: WdS 16 (1971), 262-282.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513