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373Privatisierung
der ständischen Herrschaftsteilhabe
heit unverändert angenommen sei140 – vielmehr lag dem Gesetzbuch
eine Abgleichung in der zeitlichen Sukzession zugrunde: Den eigent-
lichen Kontext für die legislative Arbeit lieferte die Kontinuität der ge-
samtstaatlichen Rechtsschöpfung. Um den »Begriffen, Sitten und der
gewohnte[n] Handlungsweise« der Bürger der Monarchie zu entspre-
chen, habe man sich bei der Kodifikationsarbeit wo immer möglich an
das Josephinische Gesetzbuch und das Römische Recht gehalten.141
4. Das natürliche Recht und die Privatisierung
der ständischen Herrschaftsteilhabe
In der zusammengesetzten Habsburgermonarchie gestattete es das
Naturrecht den Juristen, die heterogenen Normkonglomerate der Kö-
nigreiche und Länder auf eine gemeinsame Urquelle zurückzuführen.
Der Gesellschaftsvertrag bot als Gründungskontrakt der Staatsverei-
nigung ein universales Modell, aus dem sich die Delegation der Rechte
an den Monarchen ableiten ließ, der diese im Namen des »allgemei-
nen Besten« – ein schwammiges Singularetantum der Staatslehre des
18. Jahrhunderts – ausübte und schützte. Die Fundamentalgesetze der
Länder wurden demgegenüber zu sekundärintegrativen lokalen Tradi-
tionen herabgestuft: Indem man die Staatsverbindung aus der Urszene
eines Vertrages seiner Bürger ableitete und damit die Untertanen zu
den Urhebern eines gesamtmonarchischen Gemeinwesens machte, lie-
ßen sich die jura et libertates, die Grundgesetze der Länder und die
selbstständige Rechtsschöpfung der Kirche zu bloß körperschaftlichen
Satzungen von societates imperfectae und universitates umprägen. Die
Satzungen dieser Körperschaften beruhten auf jura quaesita, also auf
privilegienhaften Rechtstiteln, die sich aber, anders als die privatrecht-
lichen Ansprüche der Bürger, nicht aus der natürlichen Freiheit speis-
ten.142 In dieser Argumentationsweise liegt der Keim einer spezifi-
140 Harrasowsky, Geschichte, 157.
141 Ofner, Ur-Entwurf, II, 474.
142 Vgl. das Schreiben Josephs II. an die Ungarische Hofkanzlei vom 2. 2. 1785:
»Keine Constitution kann wider die Grundlage des Natürlichen, und Ge-
sellschaftlichen Rechts bestehen, und wann sie auch bestanden, so ist es
nur Gewalt, oder Unverstand, die sie darinnen eine Zeit hat fortschleppen
können«, Lajos Hajdú, II. József igazgatási reformjai Magyarországon [Die
Verwaltungsreformen Josephs II. in Ungarn], Budapest 1982, 173; »Ich un-
terscheide alßo die Formen von den Grundgesetzen, und behaupte, daß der
Gebietendenn Macht, welche in einer Monarchischen Regierung der Mon-
arch ist, die Veränderung der Form, der Benamsungen, der Untertheilun-
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513