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schen Texten, die sich mit der politischen Philosophie des Gemeinwohls be-
schäftigen (Augustinus, Bousset, Hobbes, Smith, Rousseau und Saint-Simon),
sechs übergeordnete Prinzipien identifiziert, die sie als „politische Grundausrüs-
tung zur Verfertigung eines sozialen Bandes“ (Boltanski, Thévenot, 2014:
S. 103) beschreiben. Das Axiom des Gemeinwohls beinhaltet zwei gegensätzli-
che Annahmen: sowohl die Annahme eines geteilten Menschseins als auch die
Annahme, dass „eine derart definierte Menschheit hierarchisch gegliedert ist“
(Boltanski, Thévenot, 2014: S. 113). Die Rechtfertigungsordnung ist auf die
Vereinbarkeit dieser gegensätzlichen Prinzipien ausgerichtet. In meinem Interes-
se, komplexe Entscheidungsfindungsprozesse analytisch zu durchdringen, und
um besser zu verstehen, welche Handlungsoptionen die AkteurInnen argumenta-
tiv konstruieren, um komplexe soziale bzw. politische Situationen zu meistern,
integriere ich die Rechtfertigungstheorie nach Luc Boltanski und Laurent
Thévenot (Boltanski, Thévenot, 2006, 2014). Die Rechtfertigungstheorie sensibi-
lisiert für Prinzipien, mit denen Handeln bzw. Entscheidungen legitimiert wer-
den und damit für die auf Überzeugung gerichtete Argumentation als Kernpraxis
der Politik.
Die Legitimitätsgrundlagen von Entscheidungsfindungsprozessen können nur
„in Relation zur Kontingenz der konkreten Situation, der vorhandenen Alternati-
ven, der momentanen Präferenzen und der normativen Kriterien“ beurteilt wer-
den (Zembylas, 2004: S. 310). Wie die Beziehungen zwischen staatlichen und
nicht-staatlichen AkteurInnen gestaltet sind, kann damit anhand einer Analyse
von Situationen nach Adele Clarke untersucht werden (Clarke, 2005, 2012). Die
Situationsanalyse ermöglicht es, Komplexität sichtbar zu machen, und bietet
Werkzeuge, die dabei unterstützen, (Macht-)Beziehungen zu untersuchen. Dabei
wird vorausgesetzt, dass sich Cultural Governance in Situationen zeigt und damit
für wissenschaftliche Erkenntnisgenerierung und -interpretation erschließbar
wird.
Mit dem Fokus auf komplexe soziale Beziehungen und dem Prinzip der Un-
ordnung und Unübersichtlichkeit steht die Situationsanalyse komplementär zur
Theorie der Rechtfertigung nach Boltanski und Thévenot, die Prinzipien für die
Herstellung von Konsens und Ordnungen herausarbeitet. Die Kombination die-
ser Heuristiken kann zu neuen Perspektiven auf Akteurskonstellationen und
Macht- und Herrschaftsverhältnisse beitragen.
Die Krise der Repräsentation ist nicht nur eine Frage der wissenschaftlichen Pa-
radigmen, die inzwischen zu einem Allgemeinplatz in den postmodernen Litera-
tur-, Kunst- und Medientheorie, Philosophie und Semiotik geworden ist (Nöth,
Cultural Governance in Österreich
Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Title
- Cultural Governance in Österreich
- Subtitle
- Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Author
- Anke Simone Schad
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4621-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 322
- Keywords
- Political Science and International Studies, Kulturpolitik, Linz, Graz, Europäische Kulturhauptstadt, Demokratie, Cultural Governance, Österreich, Kultur, Kommunalpolitik, Politikwissenschaft, Politik
- Category
- Recht und Politik
Table of contents
- Abstract 7
- Gliederung des Buches 9
- 1 Prolog zu Cultural Governance: Doing Politics – Making Democracy? 11
- 2 Kultur, Öffentlichkeit und Politik: eine Annäherung 31
- 3 Theoretische Situierung von Cultural Governance 43
- 4 Lokale Situierung der Analyse in Österreich 87
- 5 Methodologische Situierung der Cultural-Governance-Analyse 109
- 5.1 Interpretative Policy-Analyse 109
- 5.2 Fokus auf die Situation 112
- 5.3 Positionierung, Perspektiven und Grenzen des Grounded Theorizing 126
- 5.4 Materialauswahl – der Unterschied zwischen der Fallanalyse und der Situationsanalyse 130
- 5.5 Situations-Mapping: AkteurInnen, Aktanten, weitere Elemente und ihre Wechselbeziehung 140
- 6 Ergebnisse der konkreten Situationsanalyse zur Verhandlung um Kulturförderung 155
- 7 Ergebnisse der Analyse Sozialer Welten in der Arena der Cultural Governance 219
- 7.1 Die Soziale Welt der städtischen Gemeinde 219
- 7.2 Die Soziale Welt der gewählten MandatarInnen (PolitikerInnen) 226
- 7.3 Die Soziale Welt der Kulturbetriebe in der Stadt 231
- 7.4 Die Soziale Welt der MitarbeiterInnen der städtischen Kulturverwaltung 242
- 7.5 Die Soziale Welt der Beiräte 254
- 7.6 Zusammenfassende Analyse der Sozialen Welten in der Arena der Cultural Governance 268
- 7.7 Normative Kriterien für Cultural Governance 271
- 8 Abschließendes Fazit 277
- 9 Anhang 283
- Literatur 293