Page - 187 - in Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Image of the Page - 187 -
Text of the Page - 187 -
Christentum 187
Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, Neuorientierung,
Untergang
Die Jahre von 500–600 brachten große Umwälzungen für die spätantike Kirchen-
struktur der Alpen. Der Zugriff der Merowinger auf die Alpen bewirkte eine
Umorientierung der Gebirgsbistümer. Als Grundsatz galt, dass fränkische Gebiete
auch fränkischen (Erz-)Bistümern zugeordnet wurden. Dies lässt sich zuerst in
den Westalpen beobachten. Hier mischten sich die Merowinger ab dem 6. Jh. in
die Belange der Kirche so stark ein, dass sogar einige Bistümer aufgelassen und
andere neue gegründet wurden. Der merowingische König Burgunds, Guntram,
gründete 579 das Bistum Maurienne, löste das Susatal und das Bistum Aosta von
Italien und teilte sie dem Erzbistum Vienne zu. Diese Regionen gehörten damit
zur fränkischen Landeskirche. Dies ging nicht ohne Proteste des Papstes Gregor
I. ab, die aber letztlich fruchtlos blieben.81 Auch das zentral alpine Bistum Chur
wurde im 6. Jh. dem fränkischen Machtraum zugeordnet. Dennoch konnten die
Machthaber von Churrätien eine große Selbstständigkeit bewahren. Die Provinz
behielt in den folgenden Jahrhunderten in vielerlei Hinsicht spätantike Strukturen
bei.82 Die Kirche östlich davon dürfte ebenfalls kurze Zeit der fränkischen zugehö-
rig gewesen sein (s. u.). Ab dem frühen 7. Jh. hatte die Bevölkerung der Ostalpen
jedoch nach den Eroberungen der Slawen und Awaren Mühe, überhaupt noch
christlich zu bleiben. Das 7. Jh. brachte im gesamten Alpenraum einen Abbruch
der dokumentierten Bischofslisten oder sonstiger Quellen, die eine Kontinuität
der kirchlichen Organisation beweisen. Für die archäologisch so gut erforschte
bischöfliche Kirchenfamilie des Bistums Genf gibt es für die Zeit zwischen 623
und 833 keine schriftliche Erwähnung eines zugehörigen Bischofs. Auch in der
Maurienne existiert zwischen 650 und 725 eine Lücke von 75 Jahren.83 Trotzdem
wird hier die Kontinuität kaum in Frage gestellt.
Churrätien hingegen zeigt sich als Ort ungebrochener Entwicklungslinien und
verhältnismäßig guter Quellenüberlieferung. Um die Mitte des 6. Jh. setzten die
Franken dort einen militärischen Befehlshaber, Zacco, ein. Dieser versippte sich
vermutlich mit der hier ansässigen Adelsfamilie der Victoriden und begründete so
ein Geschlecht, das frühestens ab 614 die Bischöfe stellte. Bald wurden die Victo-
riden nicht nur geistliche, sondern auch weltliche Herrscher des Gebietes. Diese
81 Kaiser, Churrätien 99 ; Löhlein, Die Alpen- und Italienpolitik 58. Gregor I. Epist. IX,214 MGH
Epp. 2 200 f.
82 Kaiser, Churrätien 44 ; Clavadetscher, Rätien im Mittelalter 20.
83 Leguay (Hg.), Savoie 355 f.
back to the
book Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800"
Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Subtitle
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Author
- Katharina Winckler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 426
- Keywords
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Categories
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Table of contents
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361