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Christentum 219
Klöster in den Alpen
Im Kapitel „Über die Alpen“ wurde schon angedeutet, wie wichtig die Klöster
in den Alpen für die Alpentransversalen waren. In diesem Abschnitt werden die
zahlreichen weiteren Funktionen herausgearbeitet, die Klöster in den Alpen er-
füllen konnten. Es werden hier nur die Klöster analysiert, die eine herrschaftliche
Gründung waren oder ab einem bestimmten Zeitpunkt besonders gefördert wur-
den. Auf Einsiedeleien und kleine Gemeinschaften soll und kann in dieser Arbeit
nicht eingegangen werden, da diese allein spirituelle Funktionen erfüllten und sich
kaum von denen des Flachlandes unterschieden.259 Es ist auch gar nicht mehr
möglich herauszufinden, wie viele in den Alpen tatsächlich existiert haben. Dass
die Zahl weit höher gelegen sein könnte, als erwartet, schimmert gelegentlich
aus den Quellen hindurch. So werden in der Vita des Severin geistliche Gemein-
schaften in Noricum erwähnt, die ansonsten völlig unbekannt sind.260 Die Vita
des Antonius beschreibt Eremiten, die in den Bergen des Veltlin hausten,261 und
der heilige Gallus, Schüler des Columban, gründete 612 nahe des Bodensees eine
Einsiedelei. Erst 719 wurde die nun verfallene Zelle vom alemannischen Priester
Otmar in das noch heute bekannte Kloster St. Gallen umgewandelt, das damals
von überregionaler Bedeutung war.262 Solche Gemeinschaften waren im Geiste des
aus dem Osten kommenden Mönchtums geprägt und hatten die Einsamkeit und
das Leben in der Wüste vor Augen. Es ging um Askese und ein von allen weltli-
chen Dingen abgehobenes Leben.263 Dieses monastische Ideal ist auch der Grund,
warum die Gründungslegenden der frühmittelalterlichen Klöster stets die Einsam-
keit und Abgelegenheit der Lage betonen. Noch in der jüngeren Vergangenheit
wurden diese Gründungsgeschichten gerade von der populären Literatur gerne für
bare Münze genommen.264 Abgelegene Alpentäler oder unwirtliche Höhen wären
für eine Klostergründung in völliger Abgeschiedenheit sehr geeignet. Doch bei
genauerer Analyse entlarvt sich dieses Bild der Zelle in völliger Einsamkeit (he-
remus) als Topos265 : Die bedeutenden Klöster des Alpenraumes lagen alle entlang
259 Mit der Ausnahme vielleicht, dass die heiligen Männer auch auf den Bergen hausende Geister
vertrieben. Wetti, Vita sancti Galli 7.
260 Eugippius, Vita s. Severini c. 4 MGH Auct. ant. 1.2, S. 9 ; Riedmann, Die Funktion der Bischöfe von
Säben 94 ; Bratož, Der Einfluß Aquileias 51.
261 Vita beati Antonii des Ennodius MGH Auct. ant., S. 187.
262 Jäggi, Vom römischen Pantheon 125 und s. u.
263 Courtois, Entwicklung des Mönchtums 14 u. 25.
264 Z. B. von Blanke, Columban und Gallus 37 und 109 f.
265 Dazu ausführlich M. Diesenberger in seiner Staatsprüfungsarbeit „Studien zu Naturwahrnehmun-
gen bei Klostergründungen im frühen Mittelalter“ am Institut für Österreichische Geschichtsfor-
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book Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800"
Table of contents
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361