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Der Ostalpenraum : Von Binnennoricum zu Karantanien 319
Der Ostalpenraum : Von Binnennoricum zu Karantanien
Im Gegensatz zu den oben behandelten Regionen des Alpenbogens, die sich kon-
tinuierlich aus spätantiken Strukturen weiterentwickelten, machte der östlichste
Teil im 7. Jh. einen tief gehenden Kulturwandel durch. Innerhalb von nur 150 Jah-
ren wurde aus dem römischen Noricum mediterraneum die slawische Provinz
Karantanien. Was genau innerhalb dieser 150 Jahre geschah, ist Gegenstand von
zahlreichen Diskussionen, Publikationen und Meinungen. Doch gerade die letzten
Jahre haben hier – einerseits aufgrund genauerer archäologischer Untersuchungen
und andererseits wegen eines Paradigmenwechsels in der Geschichtswissenschaft
– neue Ansätze gebracht, die diese „dunklen Jahrhunderte“ in neuem Licht er-
scheinen lassen : Historiker und Historikerinnen gehen heute nicht mehr davon
aus, dass einer quellenarmen Zeit notwendigerweise eine unbedeutende Bevölke-
rung zugrunde liegt, und der Archäologie ist es nun möglich, auch aus geringsten
Spuren Erkenntnisse zu gewinnen. Ein Sprach- und Kulturwechsel einer Region
wird daher nicht mehr automatisch als kompletter Bevölkerungswechsel interpre-
tiert.
Das 6. Jahrhundert
Die Region nördlich der Alpen gehörte der römischen Provinz Noricum ripense
an, die kurz vor dem Jahr 500 so eindringlich durch die in dieser Arbeit schon oft
zitierte Vita des Severin erleuchtet wird. In der Vita selbst kann man gut erkennen,
wo die ökonomischen und politischen Hauptfokusse der Region lagen : entlang der
Donau, im Raum Salzburg und im Kärntner Becken. Der Grenzbereich zwischen
Binnennoricum und Ufernoricum, also das Enns- und Murtal, die dazwischenlie-
genden Gebirgszüge, das Salzkammergut und die gesamten östlichen Voralpen,
wurde kaum erwähnt. Sie sind für uns schon in der Spätantike eine terra incognita,
denn die archäologischen Spuren der Bevölkerung sind rar, schwer datierbar und
es existieren gar keine schriftlichen Quellen.105 Die Vita des Severin präsentiert die
Täler der Niederen Tauern als eine Einöde, die sich über Hunderte von Meilen er-
streckte. Nur ein von Gott geschickter Bär konnte den Reisenden in der Vita einen
Weg durch diese Schneemassen bahnen.106 Dabei handelt es sich gewiss um eine
105 Baltl, Steiermark im Frühmittelalter 38 ; Fischer, Noricum 108.
106 Eugippius, Vita s. Severini c. 29. Vermutlich bogen die Männer nach den Radstädter Tauern in das
Ennstal ab und überschritten den Pyhrnpass, um von Teurnia nach Lauriacum zu gelangen. Die
Quelle spricht von 200 Meilen.
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Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Subtitle
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Author
- Katharina Winckler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 426
- Keywords
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Categories
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Table of contents
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361