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6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen
Ab dem 6. Jh. schafften es die immer mächtiger werdenden fränkischen König-
reiche, den größten Teil des Alpenraumes in ihren Herrschaftsbereich einzuglie-
dern. Die einst burgundischen Westalpen und die churrätischen und bairischen
Zentralalpen standen ab diesem Zeitpunkt zumindest nominell unter fränkischer
Herrschaft. An den Südabhängen der Alpen konnten sich nach der Eroberung Ita-
liens 568 die Langobarden behaupten. Allen diesen Herrschaften war es gemein,
dass sie den inneren Alpenraum nur mit Amtsträgern berührten. Ansonsten be-
ließen sie die dort herrschenden, spätantiken Strukturen weitgehend intakt. Diese
konnten sich vor allem im 7. Jh. in vielen Regionen recht bruchlos weiterentwi-
ckeln und die Eliten blieben größtenteils die alten.
Geradezu typisch für abgelegene oder schlecht erschlossene Gebiete des ehe-
maligen Römischen Reiches war die Umwandlung der Gesellschaft in eine bäuer-
liche, kleinräumige und zunächst relativ egalitäre, die oft stammesgesellschaftliche
Charakteristiken aufweist. Beispiele wären die Britischen Inseln sowie Räume, die
das römische Straßennetz entweder von vornherein wenig berührt hatte oder in
denen die antiken Wege verfallen waren, wie beispielsweise der Norden Spani-
ens.1 Der spätantike Konservativismus und die grundherrschaftlichen Strukturen,
die sich in den West- und Zentralalpen halten konnten, zeigen, dass viele Täler des
Gebirges im frühen Mittelalter weder abgelegen noch schlecht erschlossen waren.
Ein gutes Beispiel für die durchgängige herrschaftliche Organisation auf spätan-
tiken Fundamenten ist Churrätien, das hier aufgrund der guten Erforschung nur
kurz erwähnt zu werden braucht.2 Ebenso wird in den Westalpen anhand des Tes-
taments des Patriziers Abbo ersichtlich, dass zumindest die Haupttäler der Region
herrschaftlich erfasst waren und die Menschen dort keineswegs als freie Bauern
über ihr Land bestimmen konnten.3 Aber auch im unter bairischer Herrschaft ste-
henden nördlichen Voralpenraum war die dort ansässige Bevölkerung noch bis in
1 Wickham, Framing 339 f. Zu dem Wort „Stammesgesellschaft“ : dies ist eine Übersetzung des eng-
lischen Wortes „tribal“. Allerdings muss man bedenken, dass dieses Wort im Englischen ein viel
grö ßeres Bedeutungsspektrum umfasst als das deutsche Wort. Deshalb wird in der Folge eher das
verdeutschte „tribal“ genutzt.
2 Vor allem in Kaiser, Churrätien ; Clavadetscher, Rätien im Mittelalter etc.
3 Siehe dazu die ausführliche Untersuchung von Patrick Geary, Aristocracy in Provence.
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Table of contents
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361