Page - 28 - in Die vielsprachige Seele Kakaniens - Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Image of the Page - 28 -
Text of the Page - 28 -
28 K.(u.)k. »going postcolonial«
spielhaft sei diesbezüglich erwähnt, dass die Herrschaftsverhältnisse in der Ge
schichte der Habsburgermonarchie zumeist nicht auf gewaltsamen Landnah
men beruhten, wie sie traditionellen Kolonisierungssituationen zugrunde liegen,
sondern vielmehr auf vorkapitalistischen und feudalen Dominanzbeziehun
gen, die bis 1848 und darüber hinaus in vielfältigen mentalen Ausformungen
fortlebten (Müller Funk/Wagner 2005 : 23). Wie Catarina Martins in ihrem
Aufsatz »Imperialismus des Geistes. Fikionen der Totalität und des Ichs in der
österreichischen Moderne« (2009) aufzeigt, ist es jedenfalls auffällig, dass zwar
die Hervorhebung der Besonderheit des »habsburgischen Falls« eine Notwen
digkeit erscheint, die wiederholte Betonung dieses Spezifischen die Ebene des
theoretischen Rahmendenkens jedoch vernachlässige.5
Damit ist die methodische Ebene dieses Problemkomplexes anzusprechen,
wo ebenso einige Bedenken im Hinblick auf die Anwendung postkolonialer
Theorien auf das Forschungsfeld der Habsburgermonarchie anzumelden sind.
Zunächst ist von der Frage auszugehen, welche Beiträge von der Anwendung
postkolonialer Konzepte auf das Habsburgerreich zu erwarten sind. Postkoloni
ale Sichtweisen erteilen eine klare Absage an nationalkulturelle und ethnozen
trische Verfahren und lenken den Blick auf die markanten, politisch konnotier
ten Merkmale von Machtbeziehungen. Für viele Forschungsfelder – so auch für
die Übersetzungswissenschaft – impliziert die Anwendung eines postkolonialen
Bezugsrahmens jedoch in erster Linie, die Perspektiven des spezifischen For
schungsbereichs zu erweitern und transkulturelle Sichtweisen zu erarbeiten, die
auch selbstreferenzielle Bezüge beinhalten. Gerade hier sind aber Defizite zu
verorten. Die Postcolonial Studies haben zwar radikale Veränderungen in den
Sichtweisen gebracht und dominante, ethnozentrisch markierte Modelle infrage
gestellt, doch die ihr inhärenten Potenziale für eine emanzipatorische Sicht und
ihre radikale und nachhaltige Anwendung auf das Forschungsobjekt – so auch
auf das Übersetzen – wurden nicht hinreichend aufgegriffen (vgl. Wolf 2008b).6
In diese Kerbe schlägt auch die Kritik von Michael Hardt und Toni Negri, die
in ihrem globalisierungskritischen Werk Empire. Die neue Weltordnung davon
ausgehen, dass »die postmodernen und postkolonialistischen Theorien in eine
5 Martins (2009) diskutiert im Rahmen der Besonderheit des kulturellen imperialistischen Dis
kurses in der Habsburgermonarchie folgende Unterschiede : die Frage des imperialistischen Wett
bewerbs der Großmächte, die enge Verstrickung von Imperialismus und nationalem Diskurs sowie
die verstärkte Rolle des Symbolischen im imperialistischen Legitimationsdiskurs.
6 Auf die problematischen Aspekte der »Hyridität« als wesentliche Kategorie postkolonialer Denk
richtungen wird in der Folge eingegangen. Vgl. auch Wolf (2008b).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437