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Die Verortung der »habsburgischen Kultur« 29
Sackgasse führen, weil sie das gegenwärtige Objekt der Kritik nicht adäquat
erfassen« (Hardt/Negri 2000 : 150) ; vielmehr wäre die Forschung zu sehr auf die
Bekämpfung vergangener Herrschaftsformen bedacht und berücksichtige nicht,
dass möglicherweise die herrschenden Mächte – die ja das Ziel der Kritik sind
– sich bereits so weit verändert haben, dass sie jede postmoderne Infragestellung
mühelos zu entkräften vermögen.
Eine kritische Stimme kommt auch von Gábor Gángó (2007), der in seiner
Rezension des von Hárs, Müller Funk, Reber und Ruthner edierten Bandes
Zentren, Peripherien und kollektive Identitäten in Österreich-Ungarn darauf hin
weist, dass die Kolonialismusforschung als Methode mit ihrem Ansatz, ideolo
gie und subjektkritische Dekonstruktionen vorzunehmen, im österreichischen
Diskursbereich Gefahr läuft, trotz aller ideologiekritischen Ansprüche die zu
dekonstruierende Struktur festzuschreiben.7
Unter Einbeziehung der hier vorgebrachten Bedenken und Einschränkun
gen ist eine verstärkte kritische Auseinandersetzung mit diesen Ansätzen im
Allgemeinen und mit ihrer Anwendung auf habsburgische Bezüge im Beson
deren angebracht. Forschungspragmatisch ist Ruthner zuzustimmen, dass sich
»Kakanien« bzw. die aus dem hier dargestellten Konzept folgernde Sicht der
Monarchie als »K.u.k. (post )kolonial« (Ruthner 2002a : 93 bzw. Müller Funk
2002 : 18) als heuristische Figur anbietet. Als solche ist sie nicht nur imstande,
den einengenden Begriff der Nationalkultur zu überwinden, sondern vermag
auch den Blick auf die vielfachen kulturellen Prägungen und Bündelungen, das
Widerspiel von Identitätskonstruktionen, die kulturellen Zirkulations und
Austauschbedingungen und auf jene Prozesse, die die Dynamik und Veränder
barkeit kultureller Konstellationen im habsburgischen Gefüge bedingen, zu öff
nen und die ihnen inhärenten und sie bedingenden Machtgefüge freizulegen.
In welcher Weise sind nun postkoloniale Forschungsansätze für den Kontext
der Übersetzung fruchtbar zu machen ? Im Folgenden wird vor dem Hinter
grund der kritischen Auseinandersetzung mit postkolonialen Denkfiguren von
der These ausgegangen, dass das Phänomen der Übersetzung, das in den ver
schiedenen Formen seiner Manifestation die oben genannten kulturellen Kons
tellationen bedingt, in hohem Maß zur Konstruktion von Kulturen beiträgt. Zur
näheren Bestimmung dieser Annahme wird zunächst das für diese Überlegun
7 Auch Maria Tymoczko plädiert für eine verstärkte Anwendung postkolonialer Ansätze : »I believe
that the field of translation studies […] is best served by setting issues of power in their specific
spatio temporal contexts, paying attention to differences as well as similarties« (Tymoczko 2000 :
32f.). Sie geht jedoch auf verschiedene Probleme, die ein solches Vorgehen implizieren, nicht ein.
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437