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36 K.(u.)k. »going postcolonial«
sagt, »bestimmten Äquivalenzforderungen normativer Art genügt« (ibid.: 200).
Äquivalenz soll dabei keine absolute Forderung sein, es gibt sie nur im Zu
sammenhang mit einer Übersetzungsbeziehung. Problematisch ist der Begriff
vor allem deshalb, weil im Deutschen Äquivalenz nur die eineindeutige Zuord
nung meint, sodass der Begriff außerhalb der maschinellen Übersetzung fast
wie selbstverständlich mit »Gleichwertigkeit« identifiziert wurde.10 Koller hält
auch weiterhin an seinem Äquivalenzkonzept fest, erweitert es jedoch später
um die Berücksichtigung »kultureller Merkmale und Elemente in Texten«, die
im Rahmen der »empfängerseitigen kommunikativ kulturellen Bedingungen«
diskutiert werden. Von seinem Grundgedanken, dass eine »originale Textpro
duktion« – und als solche bezeichnet er etwa Translate im vermeerschen Sinn
– keine Übersetzung sei, lässt er jedoch nicht ab (Koller 2002 : 115ff.).
Im Zuge der weiteren Ausarbeitung seiner »Skopostheorie« postuliert Hans
J. Vermeer, im Anschluss an die diesbezüglich noch nicht explizit ausgeführten
Überlegungen in der Grundlegung einer allgemeinen Translationstheorie (Reiß/
Vermeer 1984), die Sicht von Übersetzen als »kulturellen Transfer«. Er geht
davon aus, dass Translation »eine komplexe Handlung [ist], in der jemand un
ter neuen funktionalen und kulturellen und sprachlichen Bedingungen in einer
neuen Situation über einen Text […] berichtet […]« (Vermeer 1986 : 33) und
kommt zu dem Schluss, dass aufgrund der Qualität des Translats als Element
der Zielkultur »eine Translation […] immer auch ein transkultureller Trans
fer [ist], die möglichste Lösung eines Phänomens aus seinen alten kulturellen
Verknüpfungen und seine Einpflanzung in zielkulturelle Verknüpfungen« (ibid.:
34). Vermeer war einer der ersten Translationswissenschaftler, der mit Nach
druck eine Anbindung des Translationsprozesses an kulturelle Bedingtheiten
forderte und auch in seine Theorie einschloss. Wie Prunč richtig argumentiert,
war es nur eine Frage der Zeit, bis das funktionaltheoretische Handlungskon
zept von Reiß und Vermeer in logischer Folge auch einen »Handlungsrahmen
der Kulturen« in den Blick nahm (Prunč 2001 : 175). Trotz des bedeutenden
Beitrags, den Vermeer (bzw. Reiß) mit diesem Postulat für die Erschließung
des Übersetzungsprozesses leistet, ist der Kulturbegriff, von dem hier ausge
gangen wird, einer kritischen Prüfung zu unterziehen, nicht zuletzt, da Vermeer
weiterhin als wichtigster Initiator der »kulturellen Orientierung« gilt (Dizdar
1998 : 107). Ausgehend von dem oben diskutierten Kulturkonzept, das Kultur
– kurz gefasst – als prozesshaftes Phänomen von Bedeutungszuschreibungen
10 Wie Mary Snell Hornby festhält, sind auch dt. Äquivalenz und engl. equivalence nicht »äquiva
lent« (Snell Hornby 1986 : 14).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437