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Geschichte
Vor 1918
Die vielsprachige Seele Kakaniens - Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
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100 Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie nördlich von Pécs im südwestlichen Ungarn machte ebenso den Austausch von Kindern erforderlich, die zwischen deutsch­ und ungarischsprachigen Dörfern wechselten und dort oft Jahre zubrachten, wie auch jene im Ofener Bergland, wo die Kinder zwischen slowakischen, ungarischen, deutschen und serbischen Dörfern ausgetauscht wurden. Da der Handel zwischen den einzelnen Dörfern sowie die Belieferung Budapests mit den Erzeugnissen aus der Ofener Gegend die Zwei­ oder Mehrsprachigkeit der an diesen Tätigkeiten beteiligten Perso­ nen notwendig machte, wurden die Kinder in die Nachbardörfer geschickt, in der die jeweils als funktional erachtete Sprache gesprochen wurde, und blieben dort zwei bis drei Jahre. Sie besuchten die Schule,87 nannten ihre »Pflegeeltern« »Vater« und »Mutter« und gingen für gewöhnlich keiner Arbeit nach. Auch die Anwesenheit kleiner Mädchen in den Dörfern zum Zwecke des Spracherwerbs ist dokumentiert : Oft kamen sie in so jungem Alter, dass die Pflegemutter sie ankleiden und ihre Haare zurechtmachen musste (Meiners 1982 : 274, András­ falvy 1978 : 307). Ähnlich war die Situation entlang den »ethnischen« Grenzflüssen March und Thaya im Zusammenwirken der Slowakisch und Deutsch sprechenden Be­ völkerung. Dort gingen die deutschsprachigen Kinder (zumeist Hoferben) »auf Wechsel«, d.h., sie brachten ca. drei Monate bis zwei Jahre auf dem Hof der Slowakisch sprechenden Bauern zu, gingen zur Schule und verrichteten leichte Hofarbeiten, um später als Bauern mit den fremdsprachigen Dienstboten und SaisonarbeiterInnen verhandeln zu können, während die Kinder der slowaki­ schen Bauern bei der Familie des »Austauschkindes« Deutsch lernten, um diese Kenntnisse später im Vieh­ und Holzhandel zwecks besserer Geschäftsver­ handlungen anzuwenden (vgl. Gehl 2009 : 109). Auch in den Lebenserinnerun­ gen des 1870 im mährischen Untertannowitz/Dolní Dunajovice geborenen Karl Renner ist nachzulesen, dass bis zu seinem zwölften Lebensjahr »zur Schulzeit fast täglich an unserem Tische auch ein Fremder« gesessen hatte, ein Fremder, »der uns doch nicht fremd war« – ein Tauschkind (Renner 1946 : 45). Der Kin­ dertausch war in diesen Gegenden auch zwischen Familien von Gastwirten aus verständlichen Gründen sehr beliebt, vor allem, wenn es sich um Garnisonsorte handelte ; einige männliche Jugendliche lernten auch auf diese Weise Deutsch, um vor der Einberufung zum Militär über einschlägige Sprachkenntnisse zu verfügen (Fielhauer 1978 : 117ff.). Zwischen den BewohnerInnen der deutschen Sprachinseln und den umliegenden Dörfern in Nordmähren fand zwecks Spra­ 87 Vgl. zum Problem des Schulbesuchs von Wechselkindern : Burger (1995 : 196) sowie Hugelmann (1934 : 398, 406).
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Die vielsprachige Seele Kakaniens Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Subtitle
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Author
Michaela Wolf
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2012
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78829-4
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
442
Categories
Geschichte Vor 1918

Table of contents

  1. Dankesworte 11
  2. Einleitung 13
  3. Erstes Kapitel
    1. Zur soziologischen Verortung von Translation 19
      1. 1. Wissenschaft und Gesellschaft im Kontext von Translation 19
      2. 2. Translationswissenschaft : »going social« ? 22
  4. Zweites Kapitel
    1. K.(u.)k. »going postcolonial« 25
      1. 1. Die Verortung der »habsburgischen Kultur« 25
      2. 2. Der »cultural turn« und seine Folgen 35
      3. 3. Übersetzung als Beitrag zur Konstruktion von Kulturen 40
      4. 4. Das Konzept der »kulturellen Übersetzung« 45
      5. 5. Der Versuch einer Übersetzungstypologie 54
    2. »Polykulturelle Kommunikation und Translation« 54
    3. »Transkulturelle Translation« 58
  5. Drittes Kapitel
    1. Das habsburgische Babylon 62
      1. 1. Die kakanische Variante der Multikulturalismus­ Debatte 62
      2. 2. Zählt der Staat Häupter oder Zungen ? 67
      3. 3. Sprachpolitik zur »Annäherung der Volksstämme« 73
      4. 4. Die »Vielsprecherei« auf dem Buchmarkt 77
  6. Viertes Kapitel
    1. Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
      1. 1. »Polykulturelle Kommunikation« 87
    2. »Habitualisiertes Übersetzen« 90
    3. »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
      1. 2. »Polykulturelle Translation« 119
    4. Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
    5. Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
    6. Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
    7. Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
    8. Kriegsministerium 165
      1. 3. Die Ausbildung von Dragomanen 179
      2. 4. Der kulturkonstruierende Beitrag der Translationspraxis 188
  7. Fünftes Kapitel
    1. Theoretischer Aufriss eines habsburgischen »Übersetzungsraumes« 194
  8. Sechstes Kapitel
    1. »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
      1. 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
      2. 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
    2. Positionierungskämpfen 208
  9. Siebtes Kapitel
    1. Der »Nutzen fürs geistige Leben« : Übersetzungspolitik in der Habsburgermonarchie 216
      1. 1. Regelnde Faktoren einer Übersetzungspolitik 217
    2. Zensur 218
    3. Urheberrechtsfrage 220
    4. Konzessionspflicht 221
      1. 2. Staatliche Kultur­ und Literaturförderung 222
      2. 3. Literaturpreise 225
  10. Achtes Kapitel
    1. »Übersetzen am laufenden Band«. Eine Übersetzungsstatistik 236
      1. 1. Einzeldaten der Übersetzungsbibliografien 240
    2. »Polykulturelle Translation« 240
    3. »Transkulturelle Translation« 243
      1. 2. Gesamtauswertungen 246
      2. 3. Übersetzen zwischen Sucht und Entwöhnung 257
  11. Neuntes Kapitel
    1. Der Vermittlungsraum italienischer Übersetzungen 263
      1. 1. Österreichisch­ italienische Wahrnehmungen 266
      2. 2. Italienische Übersetzungen im deutschsprachigen Raum 281
      3. 3. Die Metamorphosen des »Übersetzungsfeldes« 298
    2. Soziale Felder und ihre Funktionsregeln 299
    3. Die Dynamisierung der bourdieuschen Felder 303
    4. Paratexte – das »Beiwerk des Buches« 308
    5. Der habsburgische Vermittlungsraum 336
  12. 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
    1. Vermittlungsraumes« 359
  13. Zehntes Kapitel
    1. Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
    2. Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
    3. Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
    4. Tabellen 392
    5. Grafiken 393
    6. Abkürzungen 393
    7. Literaturverzeichnis 394
    8. Quellen 394
    9. Sekundärliteratur 396
    10. Sachregister 434
    11. Personenregister 437
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