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Geschichte
Vor 1918
Die vielsprachige Seele Kakaniens - Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
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112 Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie Originale) gefragt war, zurückzuführen ist. Dies ist zunächst im Kontext der Sprachverwendung im Reichsrat zu beleuchten, der ja durch seine Handhabe implizit eine bestimmte Art von Konvention in der unmittelbaren Anwendung seiner Gesetze vorgab und damit gleichzeitig – wiederum implizit – die Ent­ wicklung in der diesbezüglichen Gesetzgebung widerspiegelte. Vor solchem Hintergrund erscheint es nicht besonders verwunderlich, dass keine der schrift­ lich fixierten Normen, die die Tätigkeit des Reichsrates regelten, Vorschriften zur Sprachfrage enthielten und sich die Verhandlungssprache auf der Basis von Konventionsregeln abwickelte, womit einmal mehr die Schnittstelle zwischen »habitualisiertem« und »institutionalisiertem Übersetzen« berührt wird. Wie nicht anders zu erwarten, wurde die Vorherrschaft der deutschen Spra­ che im Laufe der zweiten Jahrhunderthälfte sukzessive durch andere Sprachen zurückgedrängt. Die zunehmende Forderung nach kodifizierter und damit auch realiter durchzuführender Gleichberechtigung schlug sich im Abgeordnetenhaus vor allem in den Reden der Abgeordneten nieder, die bis 1861 ausschließlich in Deutsch erfolgten ; im September 1861 jedoch wurde diese Konvention erstmals durch einen dalmatinischen Abgeordneten gebrochen, der eine Rede in serbi­ scher Sprache hielt und dem Präsidium eine deutsche Übersetzung seiner Rede überreichte, die in das Protokoll integriert wurde. Bis zum Jahr 1873 erwies sich dies als gängige Praxis, doch unterblieb dann die Lieferung der deutschen Über­ setzungen, und die Reden wurden nicht mehr in die stenografischen Protokolle aufgenommen. Dies führte immer wieder zu Protesten und verhärtete die Fron­ ten zusehends, bis 1874 der Präsident des Abgeordnetenhauses Karl Rechbauer eingestand, dass die deutsche Sprache nicht »als ausschließliche Staatssprache« gelte [ !] und auch andere Sprachen im Parlament verwendet werden dürften. Als vor allem die Tschechen ab dem Ende der Siebzigerjahre von diesem Recht verstärkt Gebrauch machten, hatte der Präsident des Abgeordnetenhauses au­ ßer dem Argument der »langjährigen Übung« (= Verwendung der deutschen Sprache als Konvention) nur die technischen Probleme entgegenzuhalten, die entstehen, wenn stenografische Protokolle gleichzeitig in acht Sprachen auf­ zunehmen seien. Erst 1917 gelang es den nichtdeutschen Abgeordneten, einen Antrag auf Aufnahme in die stenografischen Protokolle von sämtlichen Reden in wortgetreuer Form, also in der jeweiligen Ausgangssprache, erfolgreich ein­ zubringen (vgl. Stourzh 1980 : 1049ff.).106 Diese Verhältnisse spiegeln sich in der habsburgischen Verwaltung wider, wenn auch um ein Vielfaches komplexer. Gerade das Verwaltungswesen ist ne­ 106 Vgl. zu weiteren Details Hugelmann (1934 : 146f.).
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Die vielsprachige Seele Kakaniens Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Subtitle
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Author
Michaela Wolf
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2012
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78829-4
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
442
Categories
Geschichte Vor 1918

Table of contents

  1. Dankesworte 11
  2. Einleitung 13
  3. Erstes Kapitel
    1. Zur soziologischen Verortung von Translation 19
      1. 1. Wissenschaft und Gesellschaft im Kontext von Translation 19
      2. 2. Translationswissenschaft : »going social« ? 22
  4. Zweites Kapitel
    1. K.(u.)k. »going postcolonial« 25
      1. 1. Die Verortung der »habsburgischen Kultur« 25
      2. 2. Der »cultural turn« und seine Folgen 35
      3. 3. Übersetzung als Beitrag zur Konstruktion von Kulturen 40
      4. 4. Das Konzept der »kulturellen Übersetzung« 45
      5. 5. Der Versuch einer Übersetzungstypologie 54
    2. »Polykulturelle Kommunikation und Translation« 54
    3. »Transkulturelle Translation« 58
  5. Drittes Kapitel
    1. Das habsburgische Babylon 62
      1. 1. Die kakanische Variante der Multikulturalismus­ Debatte 62
      2. 2. Zählt der Staat Häupter oder Zungen ? 67
      3. 3. Sprachpolitik zur »Annäherung der Volksstämme« 73
      4. 4. Die »Vielsprecherei« auf dem Buchmarkt 77
  6. Viertes Kapitel
    1. Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
      1. 1. »Polykulturelle Kommunikation« 87
    2. »Habitualisiertes Übersetzen« 90
    3. »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
      1. 2. »Polykulturelle Translation« 119
    4. Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
    5. Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
    6. Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
    7. Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
    8. Kriegsministerium 165
      1. 3. Die Ausbildung von Dragomanen 179
      2. 4. Der kulturkonstruierende Beitrag der Translationspraxis 188
  7. Fünftes Kapitel
    1. Theoretischer Aufriss eines habsburgischen »Übersetzungsraumes« 194
  8. Sechstes Kapitel
    1. »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
      1. 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
      2. 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
    2. Positionierungskämpfen 208
  9. Siebtes Kapitel
    1. Der »Nutzen fürs geistige Leben« : Übersetzungspolitik in der Habsburgermonarchie 216
      1. 1. Regelnde Faktoren einer Übersetzungspolitik 217
    2. Zensur 218
    3. Urheberrechtsfrage 220
    4. Konzessionspflicht 221
      1. 2. Staatliche Kultur­ und Literaturförderung 222
      2. 3. Literaturpreise 225
  10. Achtes Kapitel
    1. »Übersetzen am laufenden Band«. Eine Übersetzungsstatistik 236
      1. 1. Einzeldaten der Übersetzungsbibliografien 240
    2. »Polykulturelle Translation« 240
    3. »Transkulturelle Translation« 243
      1. 2. Gesamtauswertungen 246
      2. 3. Übersetzen zwischen Sucht und Entwöhnung 257
  11. Neuntes Kapitel
    1. Der Vermittlungsraum italienischer Übersetzungen 263
      1. 1. Österreichisch­ italienische Wahrnehmungen 266
      2. 2. Italienische Übersetzungen im deutschsprachigen Raum 281
      3. 3. Die Metamorphosen des »Übersetzungsfeldes« 298
    2. Soziale Felder und ihre Funktionsregeln 299
    3. Die Dynamisierung der bourdieuschen Felder 303
    4. Paratexte – das »Beiwerk des Buches« 308
    5. Der habsburgische Vermittlungsraum 336
  12. 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
    1. Vermittlungsraumes« 359
  13. Zehntes Kapitel
    1. Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
    2. Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
    3. Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
    4. Tabellen 392
    5. Grafiken 393
    6. Abkürzungen 393
    7. Literaturverzeichnis 394
    8. Quellen 394
    9. Sekundärliteratur 396
    10. Sachregister 434
    11. Personenregister 437
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