Page - 113 - in Die vielsprachige Seele Kakaniens - Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Image of the Page - 113 -
Text of the Page - 113 -
»Polykulturelle Kommunikation« 113
ben anderen Bereichen des öffentlichen Lebens ein sensibler Indikator für den
staatlichen und auch gesamtgesellschaftlichen und individuellen Kommunikati
onsbedarf, da zur Befriedigung dieser unterschiedlichen Bedürfnisse jeweils ad
äquate Vermittlungsinstrumente erforderlich sind, die im Falle der Bewältigung
der Verwaltungsaufgaben in der Habsburgermonarchie in erster Linie durch die
jeweilige Wahl einer oder mehrerer bestimmter Sprachen erfolgte. Der Ent
scheidung für die Wahl einer Sprache liegen verschiedene Prinzipien zugrunde,
die von praktischen Erwägungen (die Gesetze sollten allen StaatsbürgerInnen
verständlich sein) über die Etablierung von die Sprachwahl betreffenden Ge
setzen bis zu ideologisch politisch motivierten Sprachverwendungskonzepten
reichen. Hier liegen auch die Schnittpunkte zu den Formen von Übersetzen,
die als »polykulturelle Translation« bezeichnet werden, also Übersetzen und
Dolmetschen im engeren Sinn. Die multinationale Zusammensetzung der Be
amtInnenschaft hatte seit Jahrhunderten Tradition und blieb bis zum Ende der
Monarchie für sie kennzeichnend. Der Beginn der österreichischen Bürokra
tie als einer eigenen, von einem spezifischen Berufsethos erfüllten Schicht fällt
schließlich mit der Schaffung des modernen zentralistischen Einheitsstaates der
theresianisch josephinischen Reformen zusammen ; hier wurden die Grundfes
ten für die ausgefeilten Kommunikationstechniken gelegt, die das Funktionieren
dieses Einheitsstaates bewerkstelligen sollten. Die Voraussetzung dafür waren
die für die Mehrheit der BeamtInnen merkmalhaften Qualitäten : die vielfach
gemischt nationale eigene Herkunft, eine »schwarz gelbe« patriotische österrei
chische Staatsgesinnung und die Loyalität gegenüber dem Gesamtstaat.107 Das
Bildungswesen trug in ausreichendem Maß zur Herausbildung und Festigung
dieser Charakteristika bei (Wandruszka 1975a : XII, XIV).
Um die Komplexität der kommunikativen Situation der Monarchie vor allem
im Hinblick auf die Bürokratie besser begreifen zu können, ist ein Blick auf
die unterschiedliche Verwendung der in Österreich gesprochenen Sprachen im
Rahmen der oben skizzierten Gesetzesbestimmungen vonnöten. Im Jahre 1910
war die Sprache der Ämter der Zentralregierung und der obersten Gerichte
Deutsch. In Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg und Vorarlberg war die
Landessprache Deutsch ; ebenso in der Steiermark und in Kärnten, jedoch war
in den südlichen Teilen Slowenisch die landesübliche Sprache. In der Krain gal
ten Deutsch und Slowenisch als Landessprachen und landesübliche Sprachen,
107 Auf die »offizielle Tabuisierung« von »Nation« im Kontext des BeamtInnendienstes in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts geht Heindl im Detail ein (1991 : 59f.; zur nationalen Herkunft der
BeamtInnen vor 1848 vgl. ibid.: 191f.).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437