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Geschichte
Vor 1918
Die vielsprachige Seele Kakaniens - Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
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116 Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie tisch als Italienisch gesprochen wurde, sind die erbosten Worte der Mutter über das flegelhafte Verhalten des ca. zwölfjährigen Sohnes : »Sinko moj ti ćeš bit ili velik javo ili veliki čovijek« (ibid.: 14).111 Nicht zuletzt aufgrund seiner Flegel­ haftigkeit wird Antonio ein Jahr später in ein Internat nach Loreto geschickt, wo er, wie er angibt, bittere Tränen weint, da ihn die Schulkollegen wegen seiner mangelhaften Italienischkenntnisse zum Zentrum ihres Gespötts machen. Die Revolution von 1848 zwingt den Sechzehnjährigen, Loreto zu verlassen und auf abenteuerlichen Wegen nach Dubrovnik zurückzukehren, wo er die Schule in einem Gymnasium mit Unterrichtssprache Italienisch beendet und Privatunter­ richt in Französisch und Deutsch nimmt ; schließlich übersetzt er einen kleinen Roman Antonio ou l’orfeline de Florence ins Italienische und druckt ihn sogleich in der Druckerei seines Vaters. Nach der Matura studiert Antonio in Wien und Graz Rechtswissenschaften ; seine Deutschkenntnisse müssen also zu diesem Zeitpunkt sehr gut gewesen sein, was nicht zuletzt durch die kurze Studiendauer von vier Jahren bezeugt wird. Aus seinen Aufzeichnungen geht hervor, dass er in beiden Städten sowohl mit deutschsprachigen als auch italienischen und serbisch­ bzw. kroatischspre­ chenden Freunden verkehrt. Nach Studienabschluss absolviert er 1856 in Zadar die Gerichtsprüfung in italienischer Sprache112 und bekommt dadurch die hö­ heren Weihen als österreichischer Beamter. Wenige Jahre später berichtet An­ tonio von steigenden Spannungen in der Sprachenfrage. Als dienstbeflissener und offensichtlich nicht von nationalistischen Gefühlen gelenkter Beamter – es stellt sich die Frage, für welche Nationalität er hätte Partei ergreifen sollen, war 111 »Mein Sohn, du wirst entweder ein großer Teufel oder ein großer Mann werden«. Etwa 1872, als Antonio bereits ca. 40 Jahre ist, erhält er einen Brief von seiner Mutter, in dem diese ihm auf Serbokroatisch Trost für seine schwere Erkrankung spendet ; der Brief wird in der Studie Abgrund – Brückenschlag. Oberschicht und Bauernvolk in der Region Dubrovnik im 19. Jahrhun- dert (Trančik 2002 : 33f.) als beispielhaft für eine von Italianismen durchzogene serbokroatische Schreibweise zitiert (etwa : piše = er schreibt, wird in dem Brief mit »pisce« wiedergegeben). Der Brief an Antonio dürfte anläßlich eines in Folge des plötzlichen Todes seiner ersten Frau, Maria Cingria, erlittenen Nervenzusammenbruches entstanden sein ; aus der Ehe waren fünf Kinder hervorgegangen, die alle zu diesem Zeitpunkt noch sehr klein waren (Martecchini 1906 : 62f.). 112 Im Erlass des Justizministeriums vom 29. Juli 1864 wird unter Verweis auf weiter zurückliegende Erlässe aus dem Jahr 1854 darauf hingewiesen, dass Richter­ und Advokatenprüfungen auf Ver­ langen der betreffenden Kandidaten »zum Theile in der Landessprache vorzunehmen […] sind« (Fischel 1910 : 154). Aus Martecchinis Aufzeichnungen geht jedoch hervor, dass diese Prüfungen grundsätzlich auf Italienisch abgehalten wurden : »Siccome allora si facevano a Zara da Apposite Commissioni gli esami di Stato in lingua italiana, così dopo di essermi preparato per alcuni mesi, mi vi assoggettai, subendoli distintamente« (Martecchini 1906 : 43).
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Die vielsprachige Seele Kakaniens Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Subtitle
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Author
Michaela Wolf
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2012
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78829-4
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
442
Categories
Geschichte Vor 1918

Table of contents

  1. Dankesworte 11
  2. Einleitung 13
  3. Erstes Kapitel
    1. Zur soziologischen Verortung von Translation 19
      1. 1. Wissenschaft und Gesellschaft im Kontext von Translation 19
      2. 2. Translationswissenschaft : »going social« ? 22
  4. Zweites Kapitel
    1. K.(u.)k. »going postcolonial« 25
      1. 1. Die Verortung der »habsburgischen Kultur« 25
      2. 2. Der »cultural turn« und seine Folgen 35
      3. 3. Übersetzung als Beitrag zur Konstruktion von Kulturen 40
      4. 4. Das Konzept der »kulturellen Übersetzung« 45
      5. 5. Der Versuch einer Übersetzungstypologie 54
    2. »Polykulturelle Kommunikation und Translation« 54
    3. »Transkulturelle Translation« 58
  5. Drittes Kapitel
    1. Das habsburgische Babylon 62
      1. 1. Die kakanische Variante der Multikulturalismus­ Debatte 62
      2. 2. Zählt der Staat Häupter oder Zungen ? 67
      3. 3. Sprachpolitik zur »Annäherung der Volksstämme« 73
      4. 4. Die »Vielsprecherei« auf dem Buchmarkt 77
  6. Viertes Kapitel
    1. Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
      1. 1. »Polykulturelle Kommunikation« 87
    2. »Habitualisiertes Übersetzen« 90
    3. »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
      1. 2. »Polykulturelle Translation« 119
    4. Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
    5. Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
    6. Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
    7. Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
    8. Kriegsministerium 165
      1. 3. Die Ausbildung von Dragomanen 179
      2. 4. Der kulturkonstruierende Beitrag der Translationspraxis 188
  7. Fünftes Kapitel
    1. Theoretischer Aufriss eines habsburgischen »Übersetzungsraumes« 194
  8. Sechstes Kapitel
    1. »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
      1. 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
      2. 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
    2. Positionierungskämpfen 208
  9. Siebtes Kapitel
    1. Der »Nutzen fürs geistige Leben« : Übersetzungspolitik in der Habsburgermonarchie 216
      1. 1. Regelnde Faktoren einer Übersetzungspolitik 217
    2. Zensur 218
    3. Urheberrechtsfrage 220
    4. Konzessionspflicht 221
      1. 2. Staatliche Kultur­ und Literaturförderung 222
      2. 3. Literaturpreise 225
  10. Achtes Kapitel
    1. »Übersetzen am laufenden Band«. Eine Übersetzungsstatistik 236
      1. 1. Einzeldaten der Übersetzungsbibliografien 240
    2. »Polykulturelle Translation« 240
    3. »Transkulturelle Translation« 243
      1. 2. Gesamtauswertungen 246
      2. 3. Übersetzen zwischen Sucht und Entwöhnung 257
  11. Neuntes Kapitel
    1. Der Vermittlungsraum italienischer Übersetzungen 263
      1. 1. Österreichisch­ italienische Wahrnehmungen 266
      2. 2. Italienische Übersetzungen im deutschsprachigen Raum 281
      3. 3. Die Metamorphosen des »Übersetzungsfeldes« 298
    2. Soziale Felder und ihre Funktionsregeln 299
    3. Die Dynamisierung der bourdieuschen Felder 303
    4. Paratexte – das »Beiwerk des Buches« 308
    5. Der habsburgische Vermittlungsraum 336
  12. 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
    1. Vermittlungsraumes« 359
  13. Zehntes Kapitel
    1. Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
    2. Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
    3. Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
    4. Tabellen 392
    5. Grafiken 393
    6. Abkürzungen 393
    7. Literaturverzeichnis 394
    8. Quellen 394
    9. Sekundärliteratur 396
    10. Sachregister 434
    11. Personenregister 437
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