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»Polykulturelle Kommunikation« 117
ja zu diesem Zeitpunkt seine kulturelle Verknotung bereits sehr fortgeschritten
– versucht Antonio Martecchini, den an ihn gestellten Forderungen im Ge
richtsalltag, die zunehmend von slawischen Kontakten geprägt waren, Genüge
zu tun und beschließt, sich eingehend dem Studium des Serbokroatischen zu
widmen,113 obwohl dies, wie er beteuert, seine Muttersprache ist. Martecchini
verwendet offensichtlich Italienisch und Serbokroatisch in gleichem Ausmaß
und hat doch in beiden Sprachen nie jene Kompetenzen erreicht, die er sich
selbst gewünscht hätte ; wie sehr ihm dies ein Anliegen ist, ist daran zu er
kennen, dass er die Frage der (mangelhaften) Zweisprachigkeit in seiner Au
tobiografie mehrmals, vor allem vor dem Hintergrund des wachsenden Natio
nalitätenstreits, thematisiert und dabei seine angestrebt neutrale Haltung zu
rechtfertigen sucht :
A causa dei bei noti partiti, che già da qualche tempo si svolgevano in Dalmazia,
cioè l’autonomo che prediligeva la lingua italiana e il nazionale che voleva che coi
slavi si trattasse in lingua serbo croata, alcuni autonomi più fanatici, osservando
che in Giudizio mi occupavo anche colla lingua serbo croata, cominciarono ad
osteggiarmi. Non pertanto io che amavo pure la lingua italiana […] nella quale fui
anche educato nel colleggio di Loreto, e che successivamente continuai ad usarla
nelle scuole superiori ginnasiali a Ragusa, come lingua d’istruzione, volli vivere in
buona amicizia con parecchie famiglie autonome […]. Siccome [col tempo] tutti si
erano persuasi che non ero un fanatico partitante dei serbo croati, ma che trattavo
gli affari oggettivamente, giunsero a nutrire per me verace simpatia, e vivevo abba
stanza quieto e contento. (Martecchini 1906 : 57f.)
Jahrzehnte später, in den Neunzigerjahren des 19. Jahrhunderts, sollte Antonio
Martecchini seine – offensichtlich mühsam zur Perfektion gebrachte – Zwei
und Mehrsprachigkeit in den Dienst einer konstruktiven Mittlertätigkeit stel
len : Er übersetzt – im Rahmen der »inneren Amtssprache« – eine große Zahl
von Gesetzestexten aus dem Deutschen ins Italienische, um den im juridischen
113 Dieses Ansinnen entspricht einer diesbezüglichen Verordnung der beiden Ministerien der Justiz
und des Innern vom 20. April 1872 gemäß der – nach unzähligen anderen Erlässen ähnlichen
Inhalts in den vorangegangenen Jahren – jegliche Amtshandlung in den landesüblichen Spra
chen abzuwickeln sei, mit besonderem Verweis auf die Tätigkeiten in den Gerichten (vgl. Fischel
1910 : 194ff.). Martecchini weist auf diese gesetzlichen Bestimmungen, die ihm als Richter mit
großer Wahrscheinlichkeit bekannt waren, in seiner Autobiografie jedoch nicht hin. Als die »kro
atische oder serbische« Sprache 1909 auch für den inneren Dienst bei Gericht verpflichtend wird,
ist Martecchini längst nicht mehr im Dienst.
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437