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»Polykulturelle Translation« 121
che bezeichnet wurde – in zahlreichen Einsatzbereichen. Den Übersetzern und
Dolmetschern kam in den zunehmenden Nationalitätskonflikten des Vielvöl
kerstaates zuweilen eine bedeutendere Rolle zu, als die Behörden erkennen
wollten. Eines dieser Konfliktfelder war Galizien, wo aufgrund des Sprachen
streits und der mangelnden Durchführung der sprachrelevanten Verordnung
von 1869, nach der alle Beamten Polnischkenntnisse besitzen mussten, von der
nationalistischen Presse die Anregung ausgesprochen wurde, dass die Ministe
rialkanzleien in Wien schleunigst Translatoren aufnehmen sollten, damit alle
(nicht vorschriftsmäßig in Galizien bereits übersetzten) Akten in Wien auch
tatsächlich behandelt werden könnten (Megner 1985 : 280). Daraus ist ersicht
lich, mit welcher Dringlichkeit die translatorische Tätigkeit von den betreffen
den Parteien (wenn auch über die Presse kolportiert) eingeschätzt wurde. Im
Bereich der autonomen Verwaltung, also vor allem auf Kommunalebene, waren
sprachrechtliche Regelungen von großer Bedeutung, da der Parteienverkehr
dort besonders dicht war. Andererseits bestand durch Beschlüsse, die auf Ge
meindeebene in eine bestimmte Richtung getroffen wurden, die – je nach dem
– »Gefahr« oder »Chance«, einen Schneeballeffekt zu erzeugen. So bestimmte
ein Gemeinderatsbeschluss in Prag im Jahre 1894, dass fortan die Namen von
Straßen, Gassen und Plätzen nur mehr in tschechischer Sprache aufzuscheinen
hatten und dass es sich dabei zusätzlich um »Eigennamen« handelte, das heißt,
dass diese unübersetzt auch in anderen Sprachen zu verwenden seien. Der Be
schluss wurde letztendlich vom Reichsgericht mit dem Argument abgelehnt,
dass eine Straßenbezeichnung eine Betätigung des öffentlichen Lebens sei und
damit eine Verletzung des Artikels 19 vorliege (Stourzh 1980 : 1070f.).119
Die Frage, in welcher Sprache eine Eingabe bei einer Behörde vorzulegen
sei, stellt einen umfassenden Problemkomplex dar. In den Akten des Innen
ministeriums sind zahlreiche solcher Streitfälle dokumentiert. Im Rahmen der
Durchführung von Artikel 19 war die Behandlung dieser Frage in erster Linie
davon abhängig, welche Sprache(n) in der jeweiligen Gemeinde oder in dem
jeweiligen Bezirk als landesüblich galt(en). So beschäftigte ein Fall in Klagen
furt, wo die Stadtgemeinde dem »Katholisch politischen landwirtschaftlichen
Verein für Slovenen in Kärnten« eine in slowenischer Sprache abgefasste Ein
gabe ohne deutsche Übersetzung verweigerte, die Behörden über insgesamt
drei Jahre (1890–1892), füllte unzählige Seiten behördlicher Akten und löste
harte politische Auseinandersetzungen aus. Das Argument der Gemeinde lau
119 Zur gesetzlichen Regelung des Sprachgebrauchs im öffentlichen Raum vgl. vor allem im Kontext
von Orts und Straßentafeln Hugelmann (1934 : 176, 236f., 379, 627f.).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437